Print-Pop von Frank Schäfer

„Mai, Juni, Juli“

(Kiepenheuer & Witsch, 9,90 Euro) von Joachim Lottmann wird nun vom Verlag wiederaufgelegt, weil das Jahrzehnt, in dem dieser vermeintlich erste deutsche Pop-Roman spielt, zur Musealisierung freigegeben ist. Naturgemäß kommt der Reprint denn auch nicht ohne Nachwort aus. Verleger Helge Malchow zeichnet noch einmal den (pop-)kulturellen Raradigmenwechsel Mitte der 80er nach, den dieser gleichsam totale Zeitroman mitstenographiert: diese neue Form des Nonkonformismus, die sich in der Ironisierung der 68er, im Protest gegen deren Proteststereotypen äußert. Und in der Tat gibt es wunderbare Kneipendialoge, in denen die Protagonisten sich nur so aus Daffke um Kopf und Kragen reden, Schopenhauers krude Frauenverachtung mit Ernst Jüngers heroischem Nationalismus und Knut Hamsuns Hitler-Verehrung mischen. Das ist alles nicht ernst gemeint, dient nur dazu, die gebatikte Langeweile zu vertreiben, und vor allem auch die Geschwindigkeit dieser Prosa nicht auszubremsen. In struktureller und gelegentlich auch wortwörtlicher Anlehnung an Hamsuns grandiosem Erstling „Hunger“ lässt Lottmann seinen Erzähler durch Hamburg, Köln und schließlich wieder Hamburg hetzen, auf der Suche nach dem Stoff für den großen Roman. Er hat Kopfschmerzen, schwitzt und deliriert, weil er sich nicht entscheiden kann, ob er lieber einen Gesellschaftsporno, politischen Thrillerzum Lob der DDR, einen kritischen Gegenwartsroman, eine Landidylle und so weiter schreiben soll. Alles wird durchprobiert, nichts wirklich fertiggestellt, weil die verwirrenden Außenreize, vor allem im Kölner SPEX-Milieu, ihn immer wieder hin- und fortreißen. Und so ist dieses fulminante Stück Prosa nicht nur treffsicheres Szene- und Zeitdokument, sondern auch postmodernes Patchwork, ein Roman aus angefangenen Romanen. Am Ende heuert das erzählende Ich Hamsun-gemäß auf einem Schiff an. Nur geht die Reise hier nach Madagaskar. Vermutlich mit der Pest an Bord. 3,5

„Morgenbillich. Die Wahrheit über Holger Südau“

(Oktober, 17Euro) von Michael Rudolf ist „Zonenkinder“ für Erwachsene. Rudolf fingiert einen geheimnisvollen, zwischen Genie und Grützdummheit schwankenden ostdeutschen Parzifal und lässt diesen in Form einer biographischen Quellendokumentation seine eigene DDR-Sozialisation nachspielen, natürlich satirisch oder wie auch immer witzig verbogen. Rudolf persifliert so ziemlich alle Genres und Schreibweisen des Deutschen: Tagebuch, Wissenschaftsprosa, Aphoristik, Brief, Zeitungsartikel, Unfalluntersuchungsbericht etc. -und zeigt so, was die DDR auch bzw. vor allern war – ein gewaltiger Fundus des Absurden, Grotesken, Wunderbaren, eine sprudelnde Quelle der Freude, einfach ein Riesenspaß. Und das Schönste daran, Sudau lebtl Kurz vor Drucklegung des Buches schreibt er dem Autor noch ein paar freundliche Zeilen: „Hallo Michael, alte Granatel Wie geht es Dir? Mir geht es gut. So, jetzt muss ich aber Schluss machen. Dein Sudau“. 4,0

„Ich fang nochmal von vorne an“

(Kiepenheuer & Witsch, 8,90 Euro) vom sogenannten „Surfpoeten“ Ahne: „Ich mag ja Pferde. Ich bin schon mal auf einem Pferd geritten, so im Kreis herum. Immer im Kreis, stundenlang. In der Mitte stand jemand, der hat so’n Seil gehalten, dis war an dem Kopf, glaub ich, von dem Pferd festgemacht und der hielt dis so, dass das Pferd immer schön im Kreis herumlaufen konnte. Einmal wollte dis auch schneller, da wäre ich beinahe runtergefallen, aber dis muss dis mitgekriegt haben, dann isses dann wieder langsamer gleich geworden. Und so nach Stunden …“ Dis Surfbrett vorm Kopf? 1,0

„Moebius Zeichenwelt“

(Eichborn, 3230 Euro)von Andreas Platthaus vorgeführt, ist eine angemessen abbildungsreiche und mit viel unveröffentlichtem Material aufwartende Retrospektive auf das bildnerische Werk einer der größten, weil einflussreichsten, produktivsten, variabelsten lebenden Comic-Künstler: Jean Giraud alias Moebius. Ein Doppelleben! Giraud verwandelt sich die amerikanische Tradition der Pulp-Comics ganz an und führt sie mit der nun vier Jahrzehnte lang betreuten Western-Serie „Lieutenant Blueberry“ auf einsame Höhen. Und dann ist da eben noch Moebius, der in den Siebzigern mit seinen Arbeiten für das Comic-Magazin „Heavy Metal“ – vor allem mit der Serie um den Wüstenkrieger „Arzach“ – den visionären Archetyp moderner Science Fiction schuf, ohne den beispielsweise das gesamte „Star Wars“-Dekor gar nicht denkbar gewesen wäre. Platthaus kann sich anfangs gar nicht lösen von dem Wunder eines solchen artistischen Dualismus, und seine Deutungsversuche geraten bisweilen etwas küchenpsychologisch, nicht zuletzt redundant. Aber nachdem das erstmal geklärt ist, liefert er eine informative, ja stupende und durchaus spannende Werkbiographie, die sich unter der Hand, nämlich indem er all die Einflüsse und Vorläufer des gewieften Comic-Archäologen Girauds aufdeckt, auch zu einer kleinen Historie der Bildgeschichte auswächst. 4,0

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