The Who – My Generation

Um erst gar keinen Irrtum aufkommen zu lassen: In der diesem fabelhaft aufgemachten Set beiliegenden Broschüre wird zwar behauptet, beim ersten Dutzend Songs auf CD 1 handle es sich um das Original-Album. Was im Fall von „My Generation“, der berühmtesten dieser Aufnahmen, aber überhaupt nicht stimmt. Die Originalfassung, die bislang immer auf Single, Vinyl-LPs und auch noch auf dem Box-Set „Thirty Years Of Maximum R&B“ zu finden war, nämlich die mit den vielen Gitarren-Overdubs von Pete Townshend, ist letzter – Track 14 – auf der zweiten CD! Bei der ersteren handelt es sich um einen kompletten Remix von Produzent Shel Talmy – ohne besagte Overdubs jetzt!

Was aber seine Richtigkeit hat. Denn diese Remixes bringen erstmals überhaupt die Qualitäten der Aufnahmen gänzlich zur Geltung. John Entwistles urgewaltigen Bass. Keith Moon am Schlagzeug so entfesselt, dass Charlie Watts dagegen wie ein feingeistiger Minimalist anmute. Pete Townshend mit ein paar unerhört waghalsigen Gitarren-Experimenten, die locker so genialisch klingen wie die berühmten Intros zu „I Feel Fine“ oder „Satisfaction“ . Nichts macht den Unterschied deutlicher als das jetzt noch unendlich spektakulärer klingende Hardrock-Gewitter von „I’m A Man“. Wo sich die Rolling Stones im Fall von „Mona (I Need you Baby)“ ziemlich getreulich bis sklavisch an das Original hielten, transzendierte die Interpretation der Who im Falle von „I’m A Man“ das Bo-Diddley-Original komplett. Dasselbe gilt für ihre frühen Cover-Versionen von Soul-Songs, die beiden James-Brown-Kompositionen mehr noch als die für diese und auch die nächsten LPs aufgenommenen Motown-Klassiker.

Man tritt Beatles, Kinks und Stones nicht zu nahe, wenn man behauptet: Mit „My Generation“ legten die Who von allen das originellste, innovativste und – um den doofen Begriff doch mal zu gebrauchen – „progressivste“ Debüt-Werk von allen vor. Nicht nur, weil es mit den meisten Originalkompositionen ausgestattet war, sondern weil es auch ganz neue Pop-Töne waren, die The Who nach „I Can’t Explain“ auch bei „The Kids Are Alright“, „Much Too Much“ und „Out In The Street“ anschlugen.

Genau hier begann Townshend seine Geschichten aus dem teenage wasteland zu erzählen. Statt „fuck off‘ ließ er den Kollegen Daltrey in „My Generation“ stottern: „Why don’t you all… f-f-fade away?“ Das mit dem „Hope I die before I get old“ hat er nun seit langem bereut. Aber als Botschaft war das damals mindestens so grandios wie und weit pathetischer als – wenn man nun so darüber nachdenkt – Jaggers nörglerische Konsumkritik von „Satisfaction“.

Dass „My Generation “ – wogegen Shel Talmy im Fall der ersten von ihm produzierten Kinks-LP wohlgemerkt nichts einwenden mochte! – nicht das übliche Hits-plus-Covers-Debüt wurde, verdanken wir einem gewissen John Emery, Kolumnist bei der Monatsgazette „Beat Instrumental“. Dem spielte man, wie in den Liner Notes nachzulesen, auf einem schnell mal gezogenen Azetat neun Aufnahmen der frühen Sessions vor. Der befand gestreng, dass da viel zu wenig an Originalkompositionen zu hören war. Was wiederum das Management der Who so beeindruckte, dass die Herren Lambert und Stamp den Gitarristen vergatterten, sich endlich doch mal hinzusetzen und noch ein paar richtig originelle Songs zu schreiben. Was der dann auch brav tat.

Sänger Roger Daltrey war mit dem Ergebnis überhaupt nicht zufrieden. Da habe man, wird er sinngemäß in den Liner Notes zitiert, zwei Jahre lang Blues gespielt. Und dann dieser billig und hektisch produzierte Mist! Richtig daran ist nur, dass Produzent Talmy nicht so konzentriert arbeitete wie George Martin in den zehn Stunden, in denen er die Debüt-LP der Beatles aufnahm. Konnte er auch nicht. Denn Townshends Songschreiber-Genius entwickelte sich nach diesem Rüffel erst flugs so richtig. Das Ergebnis einer „hard day’s night“ waren dann aber doch „My Generation“ und „The Kids Are Alright“, beide in einer Session vom 13. auf den 14. Oktober 1965 aufgenommen.

Neben der Debüt-Single auch erstmals in tollem Stereo-Mix – und ein paar weniger bedeutsamen Cover-Versionen findet man unter den Outtakes hier auch die Langfassungen von „I Don’t Mind“ und „The Good s Gone“. Und dann erstmals überhaupt Pete Townshends Schubidu-Hymne „Instant Party Mixture“, ein gleichzeitig von DooWop, Otis Redding und Beach Boys inspirierter novelty song, der als Satire die von „The Who Sell Out“ antizipierte und bei dem er am Ende so kurz mal nebenbei demonstrierte, dass er seinen Chuck Berry genauso gut drauf hatte wie Keith Richards, wenn er denn wollte.

Schön, dass man bei diesen Stereo-Remixes auch erstmals so richtig hört, was Nicky Hopkins hier als „fünfter Who“ zu den Aufnahmen beitrug. Den „Back to Mono“-Apologeten ins Stammbuch: Dass dieses Album, anders als das Debüt der Stones, nicht auf einer Zweispur-Revox aufgenommen wurde und jetzt endlich so hervorragend klingt wie nie, darf man als Fügung betrachten.

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