Steve Earle – Jerusalem: Kontroverses, heterogenes Werk des großen Songschreibers :: ARTEMIS/SONY
„I am a patriot!“ Steve Earle fühlt sich neuerdings „urgently American“, ja „Jerusalem“ sei „the most pro-American record I’ve ever made“. Pro deshalb, weil er der hysterischen Gesetzgebung nach 9/11 ein Bürgerrechts-Contra gibt. Dass der Ex-Country-Renegat, Ex-Cowboy-Junkie, Ex-Bluegrass-Schüler nun als dezidiert „politischer“ Künstler auftritt, verwundert nicht. Immerhin spielte Earle seine ersten Gigs mit 16 auf Anti-Vietnam-Demos. Doch jetzt ist ihm eine (Boulevard-)Öffentlichkeit gewiss, die er im zähen Einsatz gegen die Todesstrafe kaum erreichen konnte.
Zumal er der Reizfigur John Walker Lindh einen schon vorab diskutierten Blues spielt, der dem gemeinen US-Amerikaner viel zu vielschichtig ist. Lässig legt Earle gleich den Finger in die Wunde, verkündet sein „American boy, raised on MTV“ doch glatt: „I’ve seen all the kids in the soda pop bands and none of them looked like me…“ Da hat sich ein gebildeter Bursche aus Marin County offenbar ganz bewusst für den radikalen Islam und gegen den American Way Of Life entschieden – fürwahr ein verlorener Sohn, der für wahre „Patrioten“ nie zurückkehren kann.
Songs wie der philosophischhistorische Exkurs „Ashes To Ashes“, der zynische Talking-Blues „Amerika V.6.0″ oder der bestürzend optimistische Titelsong etablieren Jerusalem“ zwar weiter als gewichtigen Gegenentwurf zu Springsteens „TheRising“. Doch blieb schon noch Platz für die von Emmylou ersehnte Duett-Romanze („I Remember You“), für das beschwingte Credo „The Kind“, für „What’s A Simple Man To Do“, die orgelnde Kreuzung aus Los Lobos (Text) und dem Sir Douglas Quintet (Musik).
Dabei kann sich Steve Earle auf wohlsortierte Roots-Instinkte verlassen, während Jerusalem “ sonst auch schon mal kräftig rockt. „Conspiracy Theory“ (schöne Grüße von Oliver Stone) baut gar auf ein R&B-Gerüst, und der von Siobhan Maher-Kennedy gesungene Refrain verströmt tatsächlich ein bisschen Prince(!)-Flair. Vertraut schillernde Bluegrass-Farben hingegen in „The Truth“, das denn doch etwas preachy überkommt. Aber echte Patrioten müssen halt zumindest versuchen, nach der Wahrheit zu suchen. Wenn sie dabei auch noch ein paar Platten verkaufen können, ist das nicht verwerflich.