The Band – The Last Waltz: Das komplette Konzert mit Probenaufnahmen und „Last Waltz Suite“ :: RHINO/TIS
Die schönste Stelle ist, wie Neil Young „You could meet me if I sent you down the fare/ But by then it would be winter“ singt – in „Four Strong Winds“, das er später für „Come sA Time“ aufnahm. Ob Young im „Winterland“ tatsächlich einen Kokspopel an der Nase hatte, kann man nicht genau hören. Aber ich würde sagen (und ich fragte ein paar authentische Hippies): ja. Es war ein langer Tag, und am Ende der folgenden Nacht verpasste Eric Clapton drei Flugzen ge nach Hause, weil er im Hotel noch immer Gitarre spielte (als hätte seine Gniedelei bei „All Our Past Times“ und „Further Up On The Road“ nicht gereicht). Martin Scorsese soll auch dabei gewesen sein. Aber der hatte bestimmt eine Sack voll Kokain im Zimmer.
Bekanntlich gab es am Nachmittag 200 Truthähne für das Publikum, und die Chronisten wissen nicht, womit sie gefüllt waren. In seinen überaus wohlwollenden Liner Notes weiß David Fricke viel Schönes über den Auftraggeber Robbie Robertson zu berichten, auch über die Meriten von The Band und über die Mühen des Veranstalters sowie des Filmemachers – wie spontan und leidenschaftlich das alles war! Aber Fortschreibung und Reflexion erspart er Robertson und dem Leser, etwa den Niedergang von Richard Manuel, dem Robertson später postum das sentimentalische Stück „Fallen Angel“ widmete, und das Weiterwurschteln der Band ohne Robertson. Die hier erstmals dokumentierten Proben für das Konzert sind ebenso entbehrlich wie Robertsons totgeborene „Last Waltz Suite“.
Den besten Auftritt hatte (jawohl) Dylan mit „Baby Let Me Follow You Down“, der rührenden Überraschung „Hazel“, „I Don’t Believe You“, erwartungsgemäß „Forever Young“ (Sie werden weinen müssen) und „I Shall Be Released“ (Sie werden weinen müssen): „Any day now!“ raunt und sülzt der versammelte Chor ökumenisch, wie es erhebender in keiner Kirche sein kann. Glückliche Siebziger! Joni Mitchell hatte kein Kokain im Rock – sie spielte einen fabelhaft konzentrierten Set mit „Furry Sings The Blues“ in einer atemberaubenden Fassung. Neil Diamond klingt bei JDry bur Eyes“ wie Springsteen, der aber nicht da war. Die runpelnden Jams mit Papa Ronnie Hawkins, Bobby Charles, Dr. John, Paul Butterfield und Muddy Waters waren so lang wie länglich: The Band dankte denen, die sie überwunden hatte.
Wer The Band überwunden hatte, ließ ihre Mitwirkung sogleich vergessen: Van Morrison erhob sich mit „Caravan“ auf eine höhere Bewusstseinsstufe, die den braven, erdnahen Muckern unnerreichbar blieb.
Sagen wir so: Die Ausstattung von „The (Complete) Last Waltz“ ist wunderbar und liefert die Patina gleich mit – aber vier CDs hätte es nicht gebraucht. Das Bluesgerocke der Band ist meistens schaurig, und Robertsons „Studio ideas“ hätte er dort lassen können.
Im Booklet ist ein kleines Foto von Martin Scorsese, Harvey Keitel und Robert De Niro abgebildet. Und wenn man die Augen schließt, sieht man „Mean Streets“ vor sich und „Taxi Driver“, und man denkt auch an die spätere Zusammenarbeit von Scorsese und Robertson, „The Colour Of Money“. Obwohl es die Achtziger waren und Robert De Niro plötzlich wie Tom Cruise aussah, war dieser Film der wahre letzte Walzer. An den Straßen und Billard-Kaschemmen ist abzulesen, was seit dem Truthahn aus Amerika geworden war. Paul Newmans Fast Eddie hatte seine beste Zeit hinter sich, Robbie Robertson auch, und – seien wir ehrlich – Scorsese drehte noch zwei perfekte, aber nicht mehr bewegende Filme über die Mafia.
„The Last Waltz“ dokumentiert die amerikanische Populärkultur auf ihrem Gipfel: Diese Männer hatten für ein paar Jahre die Welt verändert. Dann wurde es wieder Winter.