Short Cuts :: VON JOACHIM HENTSCHEL
Parole Trixi – Die Definition von süß (WHAT’S SO FUNNY ABOUT/INDIGO)
Wenn Ihnen diese Platte auf die Nerven geht, ist alles, wie es sein muss. Sandra Grether, Frontfrau von Parole Trixi, zerfleischt das, was süß und angenehm sein könnte am Post-Pavement-Gitarrenpop der Hamburger Band: Sie wird dann explizit, wenn der Dichter poetisch würde, andersrum genauso. In einem Stück schweift sie von den unschicken Aspekten der schicken Armut ab auf den Streitfall „Frau und Werbung“, unsachlicher als „Konkret“-Kolumnen, in strenger Ich-Form. Am ehesten: Babes In Toyland, obwohl bei Parole Trixi immerhin die Gitarre richtig singt. Solchen Inhalten kann die geschlossene Form nicht standhalten. Was ruft der da hinten? Punkrock? Nein. Auf keinen Fall Rock. 2,5
Boy Division – III (FIDEL BASTRO/EFA)
Cover-Version von Bon Jovis „It’s My Life“, Beispiel eins: Ein asthmakrankes Keyboard schlägt an, einer trommelt auf virtuellen Schrottfassern, die Wörter feuern sich durchs Megaphon. Die stoische Verzweiflung, die dieser Song versteckt, wird von Boy Division ans Licht gekratzt. Ein Hamburger Stammtisch, unter anderem mit Kante-Gitarrist Felix Müller. Programm: Stücke von Blui; Eurythmics, RUM« Tears For Fears. Transfusionsrichtung: Avantgarde-Rock. 3,0
Peace Brothers – Black Jack (Wolverine/spv)
Cover-Version von Bon Jovis „It s My Life“, Beispiel zwei: Die Band spielt Humpa-Rhythmus (womit sie die Lacher auf ihrer Seite hat, wie man sagt), der Sänger ersetzt JBJs Rock-Pathos durch sein eigenes, am Schluss schwenken sie über in“Life Is Live“ von Opus. In Berlin sind die Peace Brothers ein beliebtes Party-Orchester. Programm: Stücke von Queen, Britney Spears, Green Day, Modern Talking. Transfusionsrichtung: Cowboystiefel-Prolljacken-Ulk. 1,0
Aim – Hinterland (GRAND CENTRAL/ZOMBA)
„Original Stuntman“, die berühmteste Single von DJ-Produzent Andy Turner – genannt Aim – aus London, klang wie ein Alibi: Eine aberwitzige Interview-Aufnahme mit Motorrad-Springbock Evil Knievel (auf dem Flohmarkt gekauft) musste er erst musikalisch umspielen, um sie als Freestyle-HipHop präsentieren zu können. Beim zweiten Album „Hinterland“ erscheinen gerade die Raps und Gesänge hinfällig. Stehen meist nur im Weg zu den bestürzend zärtlichen Instrumental-Tracks. Rubbeliger Funk und Club-Jazz, schwelgerische Geigen und eine Nähe zum geliebten Northern Soul, die einem im inflationären Schwall der DJ-Platten selten begegnet. 3,0
Acuarela Songs (ACUARELA/SKYCAP/ZOMBA)
Das große Fest der Wald-, Straßen -und Gebirgseinsamkeit, das über zwei Stunden dauert (Doppel-CD) und ganz viele Leute auf der Liste hat, die Kunden des Glitterhouse-Mailorder mögen: Howe Gelb, Mojave 3, Dakota Suite, Mark Ehzel, die Willard Gram Conspiracy. 32 Songs als Respektgesten an das spanische Klein-Labei Acuarela, bis auf wenige Ausnahmen kleine Herzblut-Werke, die sie sonst einem Vinyl-Stngles-Club gespendet hätten. 3,0
Electrelane – Rock It To The Moon (LET’S ROCK/PIAS)
Hier lassen sich identifizieren: die Themen von „Peter Gunn“ und dem Stimmungs-Jingle „Popcorn“, Inspirationen von Stereolab, Mogwai, Syd Barrretts Pink Floyd. So etwas wie eine voluminöse Instrumental-Improvisation der vier Musikerinnen aus Bristol, oder der Mix eines Weltraum-DJs. Die Orgel ist groß, die Klarinette, die die Organistin manchmal spielt, zart und wendig, trotzdem soll das Rock sein, mit Lärm, ohne Ausgelassenheit, mit einem Gefühl für den Raum, den Electrelane einem Soundtrack-Komponisten abgeluchst haben. Genres zitieren kann jeder Depp, aber sie gießen Musik draus, die klingt, als würde sie vom Himmel regnen. 4,0
Rinôcérôse – Music Kills Me (V2)
Konzerte der Acid-Funk-Houser aus Marseille sollen eine echte Schau sein, da stockt sich das Trio mit Flöten und Handtrommlern auf und sprengt den Orchestergraben. Das haben sie alles auf die zweite Platte gesattelt, Boogie-Riffs, Elefantenhosen-Rave, Travolta-Streicher. Aber leider keinerlei Hooks, atmosphärische Ideen oder Melodien. So ist das nur Balearen-Disco-Hintergrund. 1,5
Sonny Jim – Im Schatten junger Mädchenblüte (BLICKPUNKT POP/EFA)
Das heißt wie ein Marcel-Proust-Band und klingt wie die dunkle Seite des Mondes über der bayrischen Provinz. Die Regensburger Band Sonny Jim malt ihr Traumtagebuch mit den Output-Signalen bedienungsfreundlicher Alt-Syntibies und psychedelisch zerstreuter Gitarren. Cool, aber auch schläfrig verwirrt ringen sie um die offenbar schwindende Erinnerung an die eigenen Songs. 2,0
Das weiße Rauschen – Original Soundtrack (NORMAL)
Hans Weingartners Schizophrenie-Spiel bestückt der kaum bekannte Andreas Wodraschke mit einer Kollektion selbst komponierter Pop-Petitessen, luftig, melancholisch, mit bitter-charmanten, kaum bekannten Sängern. Sowas wie „Je t’aime“ auf „Whiter Shade Of Pale“. 3,0