Shelby Lynne – Love, Shelby
Shelby Lynne klingt häufig wie die kleine Schwester von Melissa Etheridge. Auf „Lore, Shelby“ untermauern Songs wie „Trust Me“, „Ain’t It The Truth“ oder „Jesus On A Greyhound“ dieses Vorurteil, indem sie sämtliche Klischees des kraftstrotzenden Power-Frauen-Röhren-Rocks bedienen. Bevor man nun erregungsschwanger den x-ten Boom ach so neuer Frauen in der Rockmusik ausruft, sollte man bei der 33-Jährigen aus Virginia noch kurz genauer hinhören: Von den Etheridges, Brickells, Morissettes, Manns oder Crows unterscheidet sich die frühere Country-Hoflhung durch ein paar Klangfarben-Register mehr.
„Tarpaulin Napoleon“ klimpert zum Beispiel wie schmachtender Bar-Soul-Jazz a la Billy Vera & The Beaters und erinnert daran, dass Shelby Lynne Moorer schon 1993 auf ihrem vierten Werk, „Temptation“, die Country-Gemeinde mit Big-Band-Sounds aus dem Sattel hob. Ihre zahnschmelzzersetzende Interpretation von John Lennons „Mother 1 * muss zwar nicht jeder haben, beweist aber fast so viel Eigenständigkeit wie das „Strange Little Girlie“ Tori Arnos mit ihren Männer-Interpretationen. Wenn man weiß, dass Shelby Lynne als Teenager Vollwaise wurde, weil ihr Vater Mitte der 80er Jahre erst seine Frau und dann sich selbst erschossen hat, bekommt die süßliche Neufassung allerdings einen ziemlich dramatischen Seitenaspekt. „Mother“ ist auch symptomatisch für die Manko-Seite von „Love, Shelby“: Wenn „Jagged Little Pill“-Produzent Glen Ballard es nicht krachen lässt, geraten die Songs meist zu synthetisch und verbreiten eine Gefälligkeit, die wirklich große Sängerinnen nicht nötig hätten. So bleibt es insgesamt bei klassischem US-Entertainer-Handwerk.