Tori Amos – Strange Little Girls
Lieder von Männern, das ist im Werk der Tori Amos nichts Neues. Schon zu Beginn ihrer Karriere fanden sich auf all den Maxis, EPs und Bootlegs Songs von Kollegen des anderen Geschlechts – Amos erfand „Smells Like Teen Spirit“ und „Angie“ auf mitunter ergreifende Weise neu und berichtete zu allerlei passenden und (öfter) unpassenden Gelegenheiten von ihren ersten Masturbationserlebnissen zu Robert Plants orgiastischem Stöhnen, bevor sie wahlweise „Whole Lotta Love“ oder „Thank You“ anstimmte.
Ein ganzes Album voller Männergeschichten kommt so überraschend wie zum rechten Zeitpunkt; schließlich hat man an Amos‘ eigenen Kompositionen schon so recht kein Interesse mehr, seit die preacher’s daughter nach ihrem zweiten Album alles Handfeste der Selbsterfahrung opferte und so für die meisten Umstehenden verloren ging – man wird ja fast nostalgisch bei der Erinnerung an frühe Großtaten wie „Silent All These Years“ und um meinetwillen auch „Cornflake Girl“ und möchte die Künstlerin wieder ins einst frei gewählte Korsett zwängen. Eben da aber will Tori Amos ja nicht hinein, und so wird nun ausgewählte Musik des ewig fremden Geschlechts zerlegt und auf ihre feminine Seite hin befühlt.
Und das mit einem gewieftem Konzept: Auf „Strange Little Girls“ nimmt sich Amos zwölf Lieder unterschiedlichster Herkunft, um deren lyrischen Gehalt neu zu deuten — was Mann sagt und wie Frau es versteht, das war schon immer Thema der eigenwilligen Chanteuse, die ihre Weiblichkeit tonträger
gern ui reichlich biologistischem Vokabular erklärt und sich im eigenen Werk ausgiebig mit dem schwierigen Miteinander von Penis und Vagina befasst. Bei der Auswahl der Songs fiir „Strunge Little Girls“ ging es dabei gar nicht zuvorderst um musikalische Vorlieben. Amos las viele Werke aus den mächtigen Wortschmieden der Pop-Historie und hielt immer dann inne, wenn sie in den nackten Reimen andere Geschichten entdeckte als die, die wohl der jeweilige Dichter im Kopf hatte. So wird lOcc’s, hier von Amos zu tonlosen Beats und ohne harmonische Begleitung gesungenes „I’m Not In Love“ zu einer bedrückenden Studie über das Verlassenwerden, Neil Youngs lärmend dekonstruiertes „Heart Of Gold“ zu einem Selbstversuch über Kälte und Distanz, und Geldofs „I Don’t Like Mondays“ zu einer betrübten Etüde, die von dem Ulk des Originals rein gar nichts zu wissen scheint.
Was die Amos bei alledem wohl im Kopf hatte, muss man sich gar nicht selbst denken; dem Booklet beigefügte Liner Notes skizzieren in schön assoziativen Fragmenten die seltsamen kleinen Mädchen, die wir nun als die wahren Heldinnen all der bekannten Verse kennenlernen, und so ist’s leicht, sich auf den tatsächlich frappierenden Perspektivenwechsel einzulassen. Etwa bei Eminems schrecklichem, von Arnos zur Lesung reduziertem „97 Bonnie & Clyde“, das man plötzlich aus den Augen der getöteten Gattin betrachtet Oder bei Lennons „Happiness Is A Warm Gun“, das hier zwischen Installationskunst und Musikrausch zu einem zehn Minuten langen Postulat gegen privaten Waffenbesitz ausartet. Oder, schließlich, bei Slayers Speed-Metal-Apokalypse „Raining Blood“, das Arnos zu einer Todesfuge über den nationalsozialistischen Terror umdeutet.
Es geht aber auch weniger gewalttätig. In dem vielleicht schönsten Moment auf „Strange Little Girls“ ertastet sich Arnos vorsichtig Depeche Modes „Enjoy The Silence“ und legt die eingekehrte Lyrik in den Mund einer alternden Show-Tänzerin, die sich Liebe und Selbstachtung in einem kleinen geheimen Ort irgendwo in der eigenen Seele aufbewahrt, dort, wo kein Ansturm ihrer nichtigen Existenz je die Stille brechen und Schaden anrichten kann. Words are very unnecessary.
All das ist gar nicht so erratisch, wie man denkt; Arnos hat genug Hingabe und Sensibilität, um den Kunstgriff mit Leben zu füllen und ihr ehrgeiziges Projekt nicht selten zu einem durchaus ergreifenden Erlebnis werden zu lassen – das übrigens für beide Geschlechter.