Luke Haines – The Oliver Twist Manifesto Christy Malry’s Own Double Entry
Künstlerische Suizidgefährdung durch inhaltliche Überfrachtung? Nicht bei Luke Haines, der sich gern Dinge vornimmt, deren Komplexität und Gewicht den meisten anderen fürs Lebenswerk reichen würde. Für den Auteurs-Leiter und Black Box Recorder-Mitbegründer darf s halt gern ein bisschen mehr sein. Gleich zwei neue Alben diesmal, mit denen Haines sich mehr denn je als Gegenwartsliterat im Pop definiert.
Weshalb „Christy Malry’s Own Double Entry“ eben nicht nur der Soundtrack zum gleichnamigen Film ist. Über die Geschichte eines Terroristen auf dem privaten, von einem Renaissance-Mönch inspirierten Rachefeldzug verhandelt Haines zwischen Brit-Folk, Post-Punk, Pomp und Pulp den Untergang der Musikindustrie, die unheilige Dreieinigkeit Tod-Religion-Politik und die unsterblichen Überreste des britischen Imperialismus. Unter anderem. Dass er sich diesen Stoff nicht entgehen ließ, ist klar. Ist er doch selbst ein Terrorist und Störenfried, wo’s geht im Hause Pop.
Wie eine prothetische Dickens-Figur humpelt Luke „Uriah“ Haines durch den Weihnachts-Chor „In The Bleak Midwinter“, singt mit Ingrimm von der Rettung der Welt durch die Kunst und verliest ein politisches Programm, das Christoph Schlingensief gefallen könnte: „I’m on a mission for the masses/ How to hate the working dasses/ And everybody we ever knew.“
„Discomania“ – einer jener Songtitel, hinter dem nicht ist, was dort zu sein scheint – erzählt von den Gibbons-Zwillingen und ihrer Vorliebe für harten Sex zu Kim-Wilde-Platten. Dem Fass den Boden heraus allerdings schlägt erst die siebenminütige, monochrome Coverversion des Nick-Lowe-Klassikers „I Love The SoundOfBreakingGlass“. Episch aufgepumpt mit Fuzz-Gitarren und schwerer Computer-Orchestrierung, dreht Haines das Original auf links und nagt auch noch das letzte Körnchen Heiterkeit von Zeilen wie „I love the sound of breaking glass/ Especially when I’m lonely“.
„This is not entertainment!“ flüstert Luke am Beginn des „Oliver Twist Manifesto“, näselnd zwischen Steve Harley, Colin Newman und Marianne Faithfull, drei anderen großen britischen Verweigerern. Auch wenn sofort klar wird, dass sich auf diesem „richtigen“ neuen Album Metaphorik und Kontra-Britpop des Soundtracks fortsetzen, können doch beide Alben für sich stehen.
Die Art und Weise etwa, wie er seinen Titelhelden über musikalische Formgebung zwischen Prä-Pop-Traditionen und ehemalige (Post-) Moderne gegenwärtig werden lässt: „That’s entertainment!“ Jawohl, Luke.