Sandy Dillon – East Overshoe
Das Cover könnte auch als Plakat für ein Ed-Wood-Science-Fiction-Epos durchgehen. Ein Pärchen fährt in einem alten Buick durch die Dunkelheit, Unheimliches mag da passieren. Unheimliches passiert auch: Dillons emphatische Rezitation eines eigentlich eher meditativen Textes des großen Italo Calvino versetzt den Hörer direkt in die Welt von Angora-Pullovern und zu UFOs umfunktionierten Papptellern („Exactitude“). Bela Lugosi ist auferstanden!
Sandy Dillons malträtierte Stimme, ihre mal wabernde, mal verhalten klingelnde Hammondorgel, die hingetupften Gitarrenakkorde des leider kurz nach Fertigstellung des Albums verstorbenen Steve Bywater und die torkelnden Chöre machen dieses Album, im Vergleich zum eher Blues-orientierten Vorgänger ,JElectric Chair“ nicht nur zu einem schrägen, sondern auch zu einem unheimlich schönen Vergnügen. Die üppigere, eher countryeske Instrumentierung verleiht dem Album die Schwerelosigkeit eines – nun ja – zu einem UFO umfunktionierten Papptetlers.
Natürlich ist JLast Overshoe“ ebenso wenig ein Country-Album, wie Johnny Cash ein Country-Sänger ist. Wir hören einen Bastard aus Bar-Jazz, Soul, Blues, Gospel, Hillbilly, Bluegrass und Muzak, so genuin amerikanisch, dass man kaum glauben kann, dass Sandy Dillon momentan in London lebt Aber so ist es halt: Wer verreist, lernt nicht den Ort kennen, den er besucht, sondern den, den er zurücklässt. Das alte, unheimliche Amerika ist über den Atlantik geschwappt. Und Tradition funktioniert ja eh nur noch, wenn sie gebrochen ist.
Apropos Tradition: Sandy Dillon ist großer Captain-Beefheart-Fan, das
ist gut, denn davon gibt’s viel zu wenige. Folglich gleich ihre Musik in eine Reihe mit der Beefheartschen stellen zu wollen, ist jedoch unsinnig. Beefheart war Blues, Beefheart war Beat, Beefheart war Free-Jazz, Beeflieart war Lester Bangs beim Versuch, mit Blues Harp und Garagen-Band John Coltrane (den späten!) nachzuspielen. Sandy Dillon ist Billie Holiday (die späte!) beim Versuch, Tom-Waits-Moritaten zu singen.
Einzig beim famosen „Hot Potato“ und dem groovenden „Hair Hang Low“ grüßt der Captain. Ansonsten: nicht vergleichbar, jedoch in beiden Fällen grandios – in beiden Fällen Übersetzungen, bei denen Inkommensurables ans Licht tritt. Daher der Tipp:, Holiday hören, Coltrane hören, Beefheart hören und in jedem Fall natürlich auch Sandy Dillons „East Overshoe“ hören. Mehr braucht kein Mensch.