Alejandro Escovedo – A Man Under The Influence
Es muss ein gutes Gefühl sein, in der Haut von Alejandro Escovedo zu stecken. Im heimatlichen Austin eine Institution, nicht unumstritten, denn kläffende Pinscher gibt es überall, doch daunenweich gebettet in einen umfänglichen Familien-Gan, dessen Vorstand und Famulus er ist. Und von der lokalen Künstlerszene beinahe so bewundert wie Willie. Kniefälliges Getue um seine Person ist Escovedo freilich ein Gräuel – bramarbasieren würde er nicht einmal buchstabieren wollen. Als die Roots-Depesche „No Depression“ 1998 vorpreschte und ihn kühn zum „Artist Of The Decade“ kürte, war Escovedo das eher peinlich.
Es war auch nicht immer ein gutes Gefühl, AI zu sein. Von privaten Tragödien wie dem Freitod seiner Frau vor zehn Jahren oder seiner chronischen Krankheit Hepatitis C abgesehen, brachte keiner der zahlreichen musikalischen Anläufe Escovedos den großen kommerziellen Durchbruch. The Nuns, Rank And File, True Believers, The Setters: nur ein paar der Combos, die der vor 50 Jahren in San Antonio geborene Musiker seit den Mitt-Siebzigern unterhielt, so allseits anerkannt wie monetär glücklos. „More Miles Than Money“ heißt nicht von ungefähr sein fulminantes, vor drei Jahren veröffentlichtes Live-Album.
Als ingeniös betitelt erweist sich nun auch Escovedos fünftes, reifstes und bestes Solowerk. Alejandro wieder einmal unter dem Einfluss von Glaube (an Menschen) und Liebe (zur Musik). Es sind auratische Songs, tief und tough, verstörend und dräuend, Songs wie Kreuzzüge: nicht zu gewinnen.
Kampfund Kapitulation bedingen einander, die Sieger werden anderswo besungen, sowieso. „If the melody escapes me/ 1 will stumble upon it soon/ If it’s not a rhapsody/ The memory will have to do“, zagt der Dichter und untermalt sein Gemütsflimmern hier mit melodisch entwaffnendem Country-Rock, dort mit bratzenden Power-Chords, sturztrunkenen Refrains, ungeschütztem Dreiklang-Pathos oder dunkel drohenden Streichern. Escovedos Dramen können delikat und zart tönen und im nächsten Moment ins Rustikale kippen und Rost ansetzen, bevor der Swing eines Fandangos alle
Schwermut bannt. Bei „Castanets zelebriert der Texaner seinen geliebten Stones-Swagger und spielt mit Joe Eddy und Mitch Easter um den Keef-Pokal. Produziert hat Chris Stamey, der ja jüngst schon Hazeldine geholfen hat, ihre Song-Laternen bildschön aufzuhängen. Überragend, nicht weniger.