Manic Street Preachers – Know Your Enemy
Wohin geht man, wenn man praktisch schon alles hinter sich hat? Wenn alles gesagt ist und so viel erlebt, dass es für ein Leben reicht? „Know Your Enemy“ ist das sechste Album der Manic Street Preachers, das dritte in Triobesetzung und das erste, bei dem das Fehlen von Gitarrist Richey James nicht mehr auffallt. Die Manics sind über seinen (wahrscheinlichen) Tod hinweg, über ihre Selbstzweifel auch und erst recht über das Bedürfnis, sich und der Welt etwas zu beweisen.
Nach dem grandiosen „This My Truth Tell Me Yours“ war klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Noch ein bisschen mehr Pathos, etwas bombastischere Melodien und man hätte sich Queen 2 nennen müssen. Der Song „You Stole The Sun From My Heart“ war schon zu nahe dran an dieser Horrorvision. Der Fortschritt war also im Rückschritt zu suchen, wie die Krawall-Single „The Masses Against The Gasses“ schon andeutete. „Uns war einfach langweilig“, sagt James Dean Bradfield dazu lapidar. Vielleicht wollte er zwischendurch auch mal wieder plärren statt immer nur zu schwelgen. Obwohl er das so gut kann.
Es wäre wirklich albern gewesen, hätten die Manics jetzt komplett auf Punkrock gemacht – was für eine Verschwendung bei einer der letzten großen Popbands dieser Jahre.“Know Your Enemy“ schwankt angesichts dieses Dilemmas manchmal etwas unentschlossen zwischen Haudrauf-Gerocke und herrlichem Kitsch. Gerade am Ende fransen Stücke wie „Dead Martyrs“ und „My Guernica“ (diese Titel!) ein wenig zu sehr ins Lärmende aus. Was sie machen, machen sie eben hunderprozentig, sei es Pop, Sozialkritik oder einfach Krach. Die meisten Songs liegen allerdings in der Mitte und damit genau richtig. Und dann gibt es auch noch Überraschungen! Beim Background-Chor von „So Why So Sad“ werden die Beach Boys zitiert; bei „Miss Europa Disco Dancer“ wird die Seventies-Keule herausgeholt, bis man fast Pulp zu hören glaubt Diese Leichtigkeit habe man der spanischen Sonne zu verdanken, ließ die Band verlauten. Das schwingende „Ocean Spray“ wurde wohl auch zu Beginn der Aufnahmen eingespielt, bevor man nach Wales zurück und wieder grimmiger zur Sache ging.
Über dem Spaß an der musikalischen Vielfalt hat Texter Nicky Wire seine politischen Ambitionen natürlich nie aus den Augen verloren. Seine Arbeiterklasse vergisst er nicht; die Kritik am Staat und den Reichen wurde ihm ja quasi in die Waliser Wiege gelegt. In „Intravenous Agnostic“ singt Bradfield ein Lied davon. Andernorts wird gegen Amerika gewettet, wie es sich für anständige Sozialisten gehört: „Baby Elian“ handelt natürlich von dem kubanischen Jungen, der nicht in die kommunistische Hölle zurückgeschickt werden sollte: „Kidnapped to the promised land/ a bay of pigs for baby Elian/ Operation Peter Pan/ America, the devil’s playground“. Und deshalb stellen die Manics dieses Album der Weltpresse ausgerechnet in Havanna vor. Ätsch. Amerika? Uns doch egaL Während so viele britische Bands vergeblich versuchen, sich in den USA anzubiedern, fliegen die Manics nach Kuba. Übrigens ohne die Hoffnung, dort viele Platten verkaufen zu können.
Das Manifest „Freedom Of Speech Won’t Feed My Children“ trägt die Botschaft schon im Titel: Kapitalismus hat auch seinen Preis. Er macht nicht satt. Freilich kann man hier – wie bei all ihren Alben zuvor – kritisieren, dass bei den dreien vieles so bedeutend klingt, aber im Kern doch eher simpel gestrickt ist. Man denke nur an „If You Tolerate This Your Children Will Be Next“ zurück. Eine Band, die ernste Anliegen hat und sie vehement vertritt, geht halt immer das Risiko ein, belächelt zu werden. Man muss den Mut der Manics bewundern. Zwischen der deprimierenden Leere im Kopf von Oasis und der putzigen Schlichtheit von Travis gibt es in Großbritannien wenigstens noch eine Band, der die Welt nicht egal ist. U2 sind ja Iren.
Nach einer Stunde, wenn der letzte Ton von „Know Your Enetny“ verklungen ist, wird sich auch der größte Zyniker dieser Band nicht mehr verschließen können: Die Songs der Manie Street Preachers sind zu schön, um nicht wahr zu sein.