Pearl Jam – Fünfundzwanzig Konzerte
Eine wahrhaft herkulische Tat, wie man sie früher von den Vlkstribunen Grateful Dead hätte erwarten dürfen. Nun ist es an Pearl Jam, nach ungezählten (oder im Internet verzeichneten) Ochsentouren dem unprofessionellen Mitschneiden den Garaus zu machen und endlich die letztgültige Tournee-Dokumentation zu veröffentlichen: 25 Konzerte in Europa, alle in diesem Frühjahr, sind auf ebenso vielen Doppel-CDs konserviert, natürlich zum studentischen Freundschaftspreis, in kompletter Länge und mit allen charakteristischen Pausen zwischen den Songs. Wir warten auf die Zugaben, hören alle unvergleichlichen Ansagen des unvergleichlichen Eddie Vedder („My german is shit“), jeden Jubel im Auditorium.
Wir verlieren freilich auch den Überblick darüber, wie oft und in welchen Städten „Alive“, „Even Flow“, „Do The Evolution“, „Nothing As It Seems“, „Better Man“ und der Rausschmeißer „Yellow Ledbetter“ gespielt wurden. Erbsenzähler werden das übernehmen. Eine Aufgabe, würdig der bemerkenswerten Show „Die Stunde der Wahrheit“, in der Sachbearbeiterinnen und allein erziehende Mütter sämtliche Pokemon-Figuren mit Zusatzzahl aufsagen müssen, damit Papi ein neues Familienauto und die Gören neue Spielkonsolen und BMX-Räder von einem seifigen Österreicher geschenkt bekommen.
Wir aber blicken auf den Karton mit den vielen braunen Kartonagen und den Stempelaufdrucken, mit denen Pearl Jam – nach dem Triumph mit der multiplen Verschachtelung von „No Code“ den Rekord in der Papp-Verpackung brechen. Hier siegt die mal ökologische Vernunft! Und hat nicht „26.6.00, Hamburg, Sporthall, Germany“ schon zwei Kerben im groben Material? Zunächst erstaunt, wie sich die Musiker all diese Songs merken können, wie sie immer wieder andere Reihenfolgen ersinnen, wie sie plötzlich Songs wie „I Got Shit“ oder „God’s Dice“ herausholen oder in Barcelona unvermutet mit dem wunderbaren „Long Road“ eröffnen, das sonst kaum vorkommt. Neil Youngs rotziges „Fuckin Up“ gibt es öfter, sein fabelhaftes „Rockin‘ In The Free World“ zu selten, das zähe „Baba O‘ Riley“ von The Who zum Glück fast gar nicht. Jeremy“ wenig, „Corduroy“ fast immer. „Last Kiss“ im sonnigen Süden, in Wembley dann nicht mehr.
Schon ein Wagnis ist es, nach Alben gewichten zu wollen: „Ten“ ist erwartungsgemäß eben von den unumgänglichen Songs repräsentiert; „Vs.“ wieder mit der unsterblichen „Elderly Woman Behind The Counter In A Small Town“, auch mit „Go“ und „Animal“ und manchmal „Rearviewmirror“; von „Vitalogy“ bevorzugt „Better Man“ und „Corduroy“; „No Code“ ist immerhin vertreten mit „Present Tense“, „Red Mosquito“, „Lukin“, „Smile“, auch „Sometimes“ (sehr selten mit „Off He Goes“ und „Habit“ und, ach, leider nicht mit „Around The Bend“ oder gar dem unkompatiblen „Who You Are“); „Yield“ mit „Given To Fly“, „Wishlist“, „Do The Evolution“ und ein bisschen „MFC“; „Binaural“ schließlich mit „Light Years“ und „Nothing As It Seems“ und einigen anderen, die sich vermutlich nicht mehr einprägen werden wie frühere Gassenhauer. Folgt das Programm einem geheimen Masterplan, gibt es Zusammenhänge, von denen wir nichts wissen? Is there anybody out there?
Ein wenig bedauert man nicht etwa, dass man nicht ubiquitär sein kann, sondern dass sich auch im Nachhinein die Logik nicht erschließt, die schiere Quantität nicht zu bewältigen ist. Für den Fan ist die Sammlung mehr Tort als Wonne, denn er wird sich nicht entscheiden können, welche Konzerte er unbedingt braucht. Das gesamte Opus ist auch dem glühendsten Verehrer zu teuer. Vom quälenden Selbstversuch des Gesamthörens zu schweigen.