Surrogat – Rock :: Geistige Wende: Drei Berliner Indie-Theoretiker wollen jetzt richtig rocken
Dieses muffige, trotzig-aufgeblasene, verklärte, oft missbrauchte und immer wieder für tot erklärte Wort: Rock. Die Deutschen konnten ja nie wirklich rocken, sie haben es wie hölzerne Marionetten meist nur kläglich probiert. Das mag an der Herkunft und Historie des Rock’n’Roll liegen, am behäbigen deutschen Wesen oder vielleicht auch an der vermeintlichen Bedenklichkeit großer Gesten und glamouröser Selbstdarstellung seit Kriegsende. Okay, okay, einfacher gesagt: Wer sich für einen Dichter und Denker hält, der muss die Scorpions natürlich scheiße finden. Oder heimlich hören.
Surrogat erinnern nun an eine weitere deutsche Band aus dem Kabinett des Schweinerock, indem sie mit Tipp-Ex und Kugelschreiber eigene Daten in einen Waschzettel von Bonfire gekritzelt haben. „Eine absolute Rockgranate“, steht dort im debilen Promo-Sprech, „Futter für jeden ausgehungerten Hard Rocker, eine Kampfansage an jeden Trend“. Bei aller Ironie, die Surrogat mit diesem köstlichen Kasperakt formulieren: Das Berliner Trio meint es ernst – und bekennt sich damit zur neuen deutschen Entspannungs-Pop-Politik, seit Blumfeld mit geradezu pubertärer Freude live Van Halens Achtziger-Trash Jump“ gespielt und Tocotronic unter dem synonymen Zitaten-Titel „Let There Be Rock“ mit Europes „The Final Countdown“ einen huldigenden Abgesang aufgenommen haben. Nachdem beharrlich der Rockstarstatus ab sexistisch und rockistisch abgestraft worden war, um sich im Indie-Schrebergarten vom etablierten Rockpop abzugrenzen, haben sich die Hamburger Schüler jetzt selbst versetzt Aufbruch! Posieren, schwitzen! Her mit den Emotionen, den Charts! Man wird ja älter und dabei nostalgisch. „Karaoke“ heißt passend ein neues, natürlich instrumentales Surrogat-Stück, denn um eine verschmähte Liebe zum Schönen im Schaurigen geht es ja. Nun wollen sie alle diese und jene verpönte Musik schon immer gemocht haben – nur getraut haben sie sich eben nicht „Überschrift weiterkommen“, skandiert der Sänger und Gitarrist Patrick Wagner im Refrain von „Schon wieder heute“, weil bei allen „Kultur- und Lebensmodellen“ und dem „Geplärre um die Zukunft“ dennoch nichts passiert 1996 hatten Surrogat noch „Sex, drugs and electronics“ auf der Rückseite ihres zweiten Albums „Soul“ notiert, einem Vakuum aus Reduktion und Redundanz. „Hobby“ klang eher nach Jazz-Rock-Noise. Nun also schlicht: Jtock“. Knallhart. Brutal. Maximum. „Gib mir alles“, fordert der erste Song. Die Gitarre fräst, der Bass malmt, das Schlagzeug donnert Nach der Hälfte erst holt die Platte für einen Song etwas Atem, um dann ungebremst und euphorisch weiter zu rasen wie auf einen unerreichbaren Fluchtpunkt zu.
Surrogat arbeiten weiter an einem minimalistisch-monolithischen Schlaufenprinzip, nur halt lauter als zuletzt. Die Bonfire-Attitüde dient hier als Trojanisches Pferd im Kopf der Band, die eher einem Henry Rollins nahe steht Sperriger Speed Metal, jedoch allemal mitreißend. Knapp, dennoch aufwühlend ist auch Wagners Lyrik. Gebellte Texte über „Emotionale Vergletscherung“, einem offenen Zwiespalt zum Geld und andere Schwächen und Widersprüche. Und mit Gespür für Kleinigkeiten füllt er lebensnah unter der Floskel „Und übrigens“ die größten Gefühle mit den meisten Zeilen ab. Die schutzlose Eindringlichkeit, wie Wagner desperat „Ich vermiss dich“ brüllt, gemahnt atmosphärisch an Fehlfarbens „Monarchie & Alltag“.
Es geht voran. Für deutsche Verhältnisse haben Surrogat mit „Rock“theoretisch das geleistet, was Motörhead auf „Rock’n’Roll „simplizistisch hingebrettert hatten: als Felsen in der Brandung der Kasperlemucke. Der Diskurs kann weitergehen.