Short cuts

James Talley: Songs From My Oklahoma Home (CIMARRON/IMPORT)

Von allen Songwritern der Siebziger ist er der verkannteste, sein Genie-Debüt das unbekannteste geblieben. „Got No Bread, No Milk, No Money, But We Sure Got A Lot Of Love“ hieß die Fünf-Sterne-Offenbarung aus Downhome-Fingerpickin‘ und sublimen Melodien, aus warmen und wehmütigen Songs, die ganz ohne Ballast aus der Stille traten und Herz und Hirn in einen wohligen Ausnahmezustand versetzten. Eine ruhige, in sich ruhende und nur der Authentizität ihrer Gefühle verpflichtete Musik, die in dieser Intensität im gesamten neueren „No Depression“-Kontinuum nicht mehr zu finden ist. Drei weitere brillante LPs kamen in rascher Folge, der Folk wurde Blues, Country, Soul und Gospel, die Themen blieben: das harte Los der Bergarbeiter, das einfache Leben auf dem Land zwischen dem Panhandle und dem Mississippi, zwischen Dustbowl-Dramen und Dixie-Romantik. Dann kam eine Weile nichts, aus dem Musiker James Talley war ein Makler geworden. Später, ab 1985, alle paar Jahre eine neue Platte, stets ordentlich, jedoch nie mehr aufregend und absorbierend. Und jetzt, after all these years, diese Vorbeugung vor Woody Guthrie, dem musikalischen Mentor, der dieselbe Scholle besang, dasselbe Unrecht anprangerte, an denselben Gerechtigkeitssinn appellierte. 21 Woody-Tunes und Adaptionen, spartanisch arrangiert, ohne Ornamentik und kunsthandwerkliche Attitüde. „Deportee“, sonst gern Fanal, ist bei Talley bloß Sozialreport, wiewohl seine 6-Minuten-Version den letzten, etwas larmoyanten, an die Agrarindustrie gerichteten Vers nicht ausspart. 4,0

The Countrypolitans: Tired Of Drowning (ME & MY/INDIGO)

Der Stil, den die Countrypolitans so selbstironisch zum Bandnamen erkoren, wird sonst eher mit den Mavericks und ähnlichen Lauheimern assoziiert, passt aber auch bestens zu diesem Westcoast-Sextett Es twangt dezent, es swingt verhalten, es klingt ultraclean, ist mal Popabilly, mal Honky Tonk light. Rosie Flores und Dale Watson gastieren, doch nicht einmal diese beiden Temperamentsbolzen bringen das betuliche Treiben auf Touren. 2,0

Kelis: Kaleidoscope {Virgin)

Kelis ist 20 Jahre alt, aus Harlem gebürtig, und die Welt wird, eher früher als später, ihre Muschel sein. Frappierend, mit welchem Feeling sie Melodien umgarnt und mit welcher Trennschärfe sie Triolen raushaut, wie scheinbar mühelos sie Deniece-Williams-Gezwitscher mit kehligeren Komponenten anreichert. Die Musik indes ist, da stimmt der LP-Titel, ein Gemischtwarenangebot: Scifisoulpopballadrapschmushiphopetc. Weniger wäre mehr, aber auch Konzentration will gelernt sein und fällt nicht eben leicht, wenn man wie Kelis stimmlich aus dem Vollen schöpfen kann und auch noch die Sinnfälligkeit eines nicht gerade neckischen Necknamens unter Beweis stellen muss: Thunder Bitch. 3,0

Johnny Nocturne Band: Million Dollar Secret (BULLSEY E/INDIGO)

Auch erst Mitte 20 ist Kim Nalley, die den Trad-Swing der Johnny Nocturne Band vokalistisch adelt und ob ihres energischen, stilsicheren Vortrags bereits mit Helen Humes und Dinah Washington verglichen wird. Höhepunkt ist „If I Could Be With You“, eine bluesige Jazz-Etüde aus dem Repertoire der Humes. Die Jump-Cuts wirken zunächst brav, was damit zu tun hat, dass die jüngeren Combos aus dem Neo-Swing-Bereich nicht selten mit Rockabilly-Druck spielen und sich nonchalant über etwaige Brauchtümer hinwegsetzen, wenn’s denn Extra-Drive bringt. Daneben muss die Johnny Nocturne Band wirken wie eine Traditionspflege-Kapelle. 2,5

Natahe Merchant: Live In Concert (ELEKTRA)

Natalie am Broadway, im Schein von hundert Kerzen, ergriffen und beschwipst vom eigenen Talent. Das meiste Material entstammt dem Millionseller „Tigerlily“, doch sind da auch gewagte Covers. Von Bowies „Space Oddity“, gut gemeint. Und von Neil Youngs „After The Goldrush“, gut gesungen. 2,0

Chic: Live At The Budokan (SPV)

Ihre Disco-Vision war die coolste, die Riffe scharf wie Klappmesser, die Tunes sooo sophisticated. Live indes, erst recht in einer so riesigen Halle, verflüchtigt sich viel von dieser Exaktheit, es boomt und dröhnt. Vor allem auf „Stone Free“, im Original von Hendrix hurtig und konzise, hier mithilfe von Slash verbumst und vergniedelt. Was freilich überwiegt, sind die Freuden am Feuerwerk. 3,0

Diana Ross: Every Day Is A New Day (EMI)

Bei Leibesvisitationen durch unbotmäßiges Airport-Personal dreht die Diva schon mal durch, doch auf Platte sitzt jeder Ton wie mit Spray gebändigt, um nicht zu sagen: betoniert. Schmacht-Soul, Soft-Gospel, anbiederndes Afrika-Tamtam und programmierter Dancefloor. Arif Mardin trägt Klangpolitur auf, Malik Pendleton sorgt fürs Modernistische. Alles Plastik, gewiss, aber dennoch in kleinen Portionen goutierbar. Weil die Lady Persönlichkeit hat und noch immer mehr Sex in ihrer Kehle als Whitney Houston im ganzen Körper. 2,0

GreatBigSea: Turn (EA5TWEST)

Kanadisches Folk-Rock-Quartett, in der Heimat bereits erfolgreich und möglicherweise auch bald bei uns. Die dafür nötigen Ingredienzien sind alle da: eingängige Melodien, Frischwärts-Rhythmen zwischen Jigs und Pop, ein radiogerechter Sound und ebensolche Texte. „I wanna be consequence free“, wünschen sie eingangs. Und wir reimen retour: „You already are, Great Big Sea!“ 1,5

Donnie Munro: On The West Side (HYPERTENSION/EDEL CONTRAIRE)

Der Runrig-Sänger mit Runrig-Musik, nur ohne das Rowdy-Rock-Moment, dafür noch schwülstiger und sämiger als befürchtet. Selbst der Donovan-Standard „Catch The Wind“ wird unbarmherzig geschrubbt und geplättet Eine Fototapete von einer Platte. Meer mit Fischerbooten. 1,0

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