Oasis – Standing On The Shoulder Of Giants :: Gargantua-Rock: Noel Gallagher lässt es breitflächig dröhnen
Trotz höchster Geheimhaltungsstufe waren die Bescheidwisser schon vor Weihnachten, im lieben alten Jahrtausend, bestens informiert über die neue Oasis, deren tatsächliche Fertigstellung allein schon Furor genug war. Noel selbst hatte im Groben bereits die Rezension entworfen: acht Stücke gut, zwei Stinker. Liams Lied „Little James“ zählte er zur Habenseite. Ja, hat Noel denn selbst versagt? Bignouth does not strike again? Acht zu zwei, das wäre immerhin noch ein majestätisches Ergebnis gegenüber „Be Here Now“, bei dem die Bilanz nur fifty-fifty aufging. Aber richtig missglückt ist gut missglückt „Standing On The Shoulder Of Giants“
ist bereits im Titel eine gemischte Angelegenheit. Der Singular der Schulter und der Plural der Giganten – niemand hatte sich offenbar getraut, dem alten Legastheniker Gallagher die Wahrheit zu sagen. Dabei hätte er nur mal scharf auf die Münze mit dem Spruch von Newton schauen müssen – übrigens nicht von Helmut Newton. Der Redakteur möchte korrigieren, aber da bricht sich ein anderer Gedanke Bahn: Ist nicht der gesamte Noel, der gesamte Gallagher und die gesamte Oasis ein einziger grammatischer Fehler, eine Fehlleistung, ein Gebrechen? Dada auf Reimzwang, chronische Wiederholungssucht Zitatenbrei allüberall, Sound-Modernismen hurtig angeeignet zunehmende Neigung zu Bombast und Lärm – das Oasis-Projekt krankt. Aber wenn Krankheit so triumphal klingt – warum Gesundheit?
„Where Did It All Go Wrong?“ heißt einer der besseren Songs, vielleicht der beste, und selbstverständlich
ist das eine rhetorische Frage. Denn wer von den Chemical Brothers und Fatboy Slim lernt, von den Beatles klaut und dann Pink Floyd, nun ja, belehnt, der ist so von allen guten Geistern verlassen, dass der Plattenrezensent nicht mehr zuständig ist Oasis sind eher ein Fall für den Psychologen. Sie zelebrieren Rock als Kampf gegen den Rest der Welt, misstrauisch, pöbelnd und selbstgerecht, dabei natürlich dünnhäutiger als Glenn Gould.
Ist „Shoulder“ zäh, stumpf, platt, langweilig, laut, lang?JawohL und stolz darauf. Noel ist Gargantua, unter dem Empire State Building macht er es nicht mehr, dabei steht das gar nicht in England. Oasis waren immer eine Rock-Band, da hilft kein „Wonderwall“. Das Breitbeinige, die große Gitarre, das Schwergängige war schon den Songs von „Be Here Now“ eingeschrieben, aber auch genügend Stücken von „Definitely Maybe“ und sogar von „Morning Glory“. Wir hören eine Band in der Auflösung, vom instrumentalen Lärm- und Quatsch-Auftakt „Fucking In The Bushes“ über das psychedelisch leiernde „Who Feels Love?“ und Liams ingeniös einfältiges „Hey Jude“ bis zu dem dröhnenden Stomper „I Can See A Liar“, der auch ihre erste Single hätte sein können. Dann beschließt „Roll It Over“, eine – wer hätte es gedacht – ebenso elegische wie breit gewalzte Hymne, den Reigen. „Plastic people who live without a care/ Try to sit with me around a table but never bring a chair“, klagt Liam – is‘ denn heut‘ scho‘ Scott Walker, Nick Drake? Und dann kommt die „Dark Side Of The Moon „-Gitarre, kommen die himmlischen Chöre, kommt alles von oben und auf einmal, und auf ihre einfachere, entwaffnende Weise erreichen die Gallaghers dieselbe maßlose Grandezza wie Blur auf „13“. Noel hat den besten schlechten Geschmack aller Songschreiber und das Gedächtnis eines Elefanten dazu. Das absolute Gehör, die totale Erinnerung? Etwas gröber, aber so ähnlich. Noel ist der Typ, der immer die Gitarren für andere auf die Bühne schleppt, bis er mal irgendwann etwas vorspielen darf. Der Plattenvertrag wird gleich vor Ort aufs Taschentuch gekritzelt Unter dem Kopfhörer klingt „Sunday Morning Call“ übrigens wie der schönste aller Songs, wie ein Abgesang, wie Oasis, wenn sich niemand mehr an Oasis erinnert, ein Echo aus den Zeiten der Rockmusik, pathetisch, gedehnt, herzzerreißend. Wie der Angehörige eines Naturvolks buchstabiert Noel die großen Topoi nach.
Ich werde nicht über Gallagher richten. He may be a fool but he’s our fool.