Drucksachen von Arne Willander
Die Luftgitarre Roel Bentzvan den Berg (Edition Suhrkamp, 18 MARK)
Greil Marcus, der zu steilen Deutungen und abenteuerlicher Hermeneutik neigt, feiert Roel Bentz van den Bergs Essays überschwänglich: „Phantastische Kolumnen, die die beschriebenen Lieder auf außergewöhnlich eindringliche Weise hörbar, sichtbar und beinahe fühlbar machen. Ich würde zehn Jahre meines Lebens geben, um so frei denken zu können wie van den Berg.“ Das mag wiederum übertrieben sein, aber „Die Luftgitarre“ ist wahrscheinlich die schönste Sammlung von Texten zu einzelnen Songs und Figuren der Rockmusik, die man bekommen kann. Van den Berg lebt in Amsterdam, schreibt Kolumnen im „Handelsblad“ und moderiert eine Radio-Sendung. Außerdem hat er natürlich Philosophie studiert und verfugt über ein narratives Talent, dass den Leser gleichermaßen fasziniert wie einschüchtert, im besten Falle aber euphorisiert.
Van den Bergs kühne Deutung von Neil Youngs „Cortez The Killer“ erkennt den Erzähler als Sympathisanten des Killers, der tanzend übers Wasser kommt und Monte zumas Reich vernichtet „And I know she’s living there“, singt Young am Ende des Liedes. „Nein, sie lebt durchaus nicht in der Gegend Mexikos, wo früher der Palast Montezumas stand, und Neu steht auch nicht irgendwo auf einer Landstraße zwischen Chihuahua und Mexico City und starrt auf eine vielleicht 5000 Jahre alte Karte. Wahrscheinlicher ist, dass er vor ihrem Haus in, sagen wir, Madison/Wisconsin oder Fort Worth/ Texas steht und dass er bei dem Wörtchen ‚there‘ an den ursprünglichen Zustand ihrer Seele denkt, an alles, was sie zu dem Menschen macht, der sie ist – so urwüchsig, wild und unschuldig, wie wir uns das Reich Montezutnas vor der Ankunft von Cortez vorstellen.“ Und in einer letzten überraschenden V&ndung imaginiert van den Berg, wie Cortez dem Montezuma einredet, dass der einzige Ort, an dem die aztekische Kultur weiter existieren könne, die Erinnerung sei. „Aber vielleicht war es ja auch umgekehrt, vielleicht war es die Weisheit Montezumas, die Cortez hiervon überzeugte, und Cortez‘ Tragik besteht darin, dass ihm das hinterher niemand glauben wollte.“
Oder wie der Sprachmagier „Thunder Road“ nacherzählt und erweitert um das, was bei Springsteen in der Luft liegt, als Atmosphäre, als Konnotation. Wie er Springsteens Einleitung zu derlive-Aufhahme kommentiert:“Jch habe den Film nie gesehen, nur das Plakat in der Eingangshalle des Kinos.‘ Ein Satz, für den Hemingway sein Jagdgewehr hätte stehen lassen. (…) Man erkennnt die poetische Wahrheit, die sich hinter den bestimmten Artikeln von der Film, das Plakat, die Eingangshalle, das Kino verbirgt.“ Manche Songs, die van den Berg hier zur Sprache bringt, hat man nie gehört, „Grown So Ugly“ oder „Morning Dew“. Aber sobald man ihre Nachdichtung, ihre Evokation gelesen hat, möchte man sie sofort hören und wird sie für immer mit diesen vollkommen verblüffenden Assoziationen verbinden. Es ist, als wären die Songs gerade neu geschaffen worden.
Für die einen ist es einfach Literaturwissenschaft oder Poesie, für die anderen die betörendste Luftgitarre der Welt. 5,0
Gegenspieler: Beatles – Rolling Stones Georg Diez (fischer verlag, 17 mark)
Ein anderes wunderbares Buch kann hier leider nur kurz empfohlen werden: Es ist dies ein Essay über die Dichotomie der beiden berühmtesten Bands der Sechziger. Ob sie tatsächlich „Gegenspieler“ waren oder sich nicht vielmehr gegenseitig zu immer neuen Schüben von Wahnwitz anspornten, muss gar nicht entschieden werden, Diez arbeitet glaubhaft mit dem Axiom, dass beide Bands geeignet waren, die Eltern das Fürchten zu lehren bloß gelang es den Stones viel besser. Es ist natürlich nicht nur die Frage nach der Länge der Haare, denn die fransten bei den Beatles am Ende ja auch aus. Georg Diez, der vorzügliche Theaterkritiker der „Süddeutschen Zeitung“, analysiert die Dynamik der prägenden Jahre anhand der üblichen Quellen und leistet als Nachgeborener vor allem eine erstaunliche kulturelle Nachholleistung ohne Schlaumeierei. Angenehm auch die freundliche und realistische Einschätzung von „Sgt. Pepper“, das zuletzt immer häufiger gescholten wurde. Pflkhtlektüre für die Hörer beider Bands und für alte, die nicht dabei waren. 4,0