Beck :: Midnite Vultures
Für das Phänomen Beck gibt es nur eine Erklärung. Hier ist sie: In jener berühmten ersten Woche, als Gott die Bäume, die Vögelein und all die anderen wunderbaren Dinge des Universums schuf, da machte sich der Allmächtige auch ein paar Gedanken über die musikalischen Genres. Zart verflochten sollten sie sein, voller Querverwebe, ein sich gegenseitig bedingendes Netz von Tönen und Klängen. Austausch sollte herrschen zwischen den verschiedensten Kulturen. Doch den Neandertalern schien das völlig überflüssig. „Oh Herr“, murrten sie. „Wir haben doch schon den Rock, diese aus Fels gehauene, archaisch stampfende Musik.“ – „Und nicht nur die“, meldete sich ein zotteliger Grobian zu Wort. „Du weißt, wie gern wir wüst und laut herum schreien, also rappen.“ – „Und wenn wir ein Weibchen betören wollen, dann zupfen wir den geschmeidigen Darm einer Bergziege. Mehr Musik und Vielfalt braucht kein Mensch!“ Gott konnte es nicht fassen: Hatte er tatsächlich versagt, hatte er am sechsten Tag der Genesis Mist gebaut? Was sollte aus der Evolution werden? Einige hunderttausend Jahre später hatte sich leider immer noch nicht viel getan: Die einen rockten, die anderen rappten, manche fidelten und zupften. Ein paar Schlaumeier wähnten sich bereits in der Zukunft, nur weil sie sich die Gesetze der Physik und Elektronik zu Nutze machten. Es war zum Verzweifeln. Doch während der Herrgott sich bei Petrus, dem bärtigen Himmels-Pfortner ausweinte, da geschahen aufErden einige erfreuliche Dinge: Die Menschen schienen zu begreifen, dass MoTonträgernokulturen langweilig sind. Sie begannen Rock und Rap zu vermischen. Auch zwischen anderen Genres gab es erste Annäherungen. Doch das Ergebnis klang oft noch recht roh und unbeholfen. Aber immerhin. Gott freute sich sehr darüber und beschloss, einen Engel zur Erde zu senden, um diese Entwicklung weiter zu treiben. Seine Wahl fiel auf Beck, einen feingliedrigen, blonden Jungen, der statt eines flammenden Schwerts stets eine alte Gitarre mit sich herum schleppte. Auf der Erde angekommen, machte sich Beck sofort an die Arbeit: Sein „Loser“ wurde ein Hit, der 1994 sogar in den drögen deutschen Single-Charts bis in die Top-20 vorstoßen konnte. Doch nicht nur das: „Loser“ zeigte, wie mühelos sich Folk, Rock, Pop und gar Rap in einem einzigen Song verbinden lassen. Bei Konzerten addierte Beck außerdem noch eine gute Portion Comedy. Die Menschen waren begeistert, schon bald gab es erste Nachahmer. Das Album JUeUcm GoWpassteja auch so wunderbar zu den gerade so beliebten Filmen von Richard Linklater und den Büchern von Douglas Coupland. Eine Zeit lang stand Beck sogar in dem Ruf, ein typischer Vertreter der Generation X zu sein. Nach zwei Independent-Veröffentlichungen, einer weiteren Major-Platte und der Wahl zum „Most Fashionable Artist 1997“ zog er erst einmal die Notbremse: Das unterschätzte 98er Album „Mutations“ war der Versuch, den Song wieder über das Arrangement zu stellen – ohne das bisher Erreichte zu diskreditieren. Doch der zarte „Space-Age-Folk-Rock“ dieser Platte war scheinbar ein zu großer Kontrast zu den deftigen, von den Dust Brothers produzierten Beats des Vorgängers „Odelay“. Um es vorsichtig auszudrücken: Ein Hit wurde ,JWutütions“ nicht. Natürlich fragten sich alle: Wie würde Becks nächster Schachzug aussehen? Denn den meisten Menschen war klar, dieser blonde Engel hatte ganz offensichtlich einen Plan – und der war noch lange nicht vollbracht. Wäre dies jetzt keine Plattenkritik, sondern ein historischer Monumentalfilm nach Motiven aus dem Alten Testament, dann würden an dieser Stelle Posaunen ertönen und die himmlischen Herrscharen jubilieren. Denn mit seinem neuen Album ,JWidnite Vultures“ ist Beck eine Platte gelungen, die alle, wirklich alle Menschen glücklich machen sollte. Höchstens sein Auftraggeber, der Allmächtige, könnte mit dem Text des Openers „Sexxlaws“ nicht ganz zufrieden sein, andererseits trifft sich hier der Surrealismus der Moralisten Fellini und Pasolini mit der Musik von T. Rex, der Four Tops und Dan, The Banjoman. Etwas Scratching und ein paar Breakbeats gibt s noch obendrein – und wir sind immer noch beim ersten Stück. Gott (der toleranter ist, als viele denken) und Petrus lassen die Handflächen gegeneinander klatschen und öffnen einen alten Messwein – ihr Prophet scheint ganze Arbeit geleistet zu haben. Dabei kommt jetzt erst „Nicotin 8C Gravy“, ein Song, der im Minuten-Takt sein Gesicht ändert, changiert zwischen Sgt.-Pepper-Pop-Opulenz, Puff Daddys HipHop-Opern und marokkanischem Psychedelic-Rock, gewürzt mit kleinen Elektronik-Spritzern. „Mixed Bizness“ ist dagegen fast solide Partymusik – elektrisierend und tanzbar. Dafür klingt das darauf folgende „Get Real Paid“, als hätten Prince (Symbol oder whatever) und Kraftwerk hier ein gemeinsames Meisterwerk geschaffen mininialis tisch, futuristisch und trotzdem verdammt eingängig. Bei „Hollywood Freaks“ und „Debra“ haben auch seine alten Kumpels, The Dust Brothers, mit gemacht, der Rest des Albums wurde von Beck allein produziert. Im Himmel ist nun die Hölle los: „Hosianna“ hier und „Halleluja“ dort. „Beck hat mit seinen ,Mitternachts-Walküren‘ den Crossover neu definiert“, hört man die Englein singen. Tatsächlich: Wie banal und hölzern wirken dagegen die Rap-trifft-Rock-Versuche von Bands wie Faith No More oder der Techno-trifft-Rock von Prodigy. Wie akademisch klingen die Verschmelzungen von Jazz und Elektronik, wie kitschig die diversen Versuche in Sachen Ethno-Pop. Nirgendwo hört man eine solche Leichtigkeit, Brillanz und vor allem solche Songs wie auf JWidnite Vultures“. Keiner davon ist nur einem einzigen Genre zuzuordnen. Und es wäre absolut sinnlos, Stück für Stück die Elemente und Bestandteile der Lieder durchzugehen. Das Konzept ist: Alles ist Pop, jeder ist mit jedem verwandt (oder zumindest bekannt), und wie in einem Lego-Baukasten lassen sich die einzelnen Elemente problemlos miteinander kombinieren. Das macht Beck keiner nach, das macht ihn vielleicht auch anstrengend. Aber er lässt einen nicht los – und sorgt für den Fortschritt. Nichts wird hier ausgestellt, kein Sample und kein ungewöhnliches Instrument sagt: Seht her, ich bin etwas Besonderes. Besonders sind nur Beck und die elfLieder seines Albums – aber die sind wirklich ganz besonders gut. JÖRGEN ZIEMER