Short Cuts von Oliver Hüttmann & Jörg Feyer
Ferris MC – Asimetrie (yo mama/zomba)
Mit seinen blonden Struwelhaaren sieht er aus wie der stumme Schlingel Harpo von den Marx Brothers – nur ist der am härtesten arbeitende deutsche Gastrapper stimmgewaltiger. „Im Zeichen des Freaks“ heißt ein Stück seines Debütalbums. Auf dem Cover hockt das „Reimemonster“, so der Titel seines Duetts mit Afrob, neben vier Kindern im Gebüsch. Ein düsteres Märchen-Motiv, unterlegt mit brachialen Bässen von Produzent Tobitob und ‚DJ Stylewarz‘ fräsenden Beats, worüber Ferris MC gehetzt seine desperaten Erfahrungen aus einer Bremer Betonvorstadt grölt und erbricht. Infernalisch gut 3,5
Jason Nevins – Universal(Epic/Sony music)
Seine Interpretation von Run D.M.C.s „It’s Like That“ verhalf dem New Yorker für eine Saison lang in die Champions League der Remixer. Hier prügelt er auf Hits von Janet Jackson über Kriss Kross ein und verzapft eine unmögliche Version von Cypress Hills „Insane In The Brain“. Effektheischende Zirkusnummern für die Großraumdisco. 1,0
Gloomy Sunday – Soundtrack (WEA)
Als Hymne von Selbstmördern feierte „Das Lied vom traurigen Sonntag“, ein schwermütig schwebendes Klavierstück des Ungarn Rezsö Seress, in den Dreißigern weltweit einen bizarren Siegeszug. Thematisch in das Melodram von Rolf Schübel eingebunden, versammelt der Soundtrack neben Pianound Orchester-Versionen diverse Interpreten: Marianne Faithfull etwa singt den Song als dramatisch-desperaten Chanson, Elvis Costello spielt ihn brüchig als Folk auf der Akustikgitarre, und Heather Nova macht daraus TripHop. 4,0
DJ Thomilla – Genuine Draft (benztown/edel)
Von Fischmob über Freundeskreis, den Fanta 4 bis zu 5 Sterne deluxe hat keine nennenswerte deutsche HipHop-Band aufdie Hilfe des Stuttgarter DJ, Remixer und Produzenten verzichten wollen. Die revanchieren sich nun und rappen Thomillas Stücke auf dessen Debütalbum: viel R&B, lockere Beats und schwungvolle Rhythmen, fein eingeflochtene Scratches und Bläser, Soul-Sängerinnen, DancehalLl. 4,0
Oomph! – Plastik (virgin)
Zwischen Gothic und Metal haben es sich die Dunkelknappen mit Streichern und Synthesizern breit gemacht. Der Sänger knurrt, raunt, röchelt, die Instrumente dräuen und poltern zum einfältigen Refrain. So ließ sich auch Nina Hagen für einen Song ködern. 2,0
For Films – Selected Tracks: edit.4 (freibank)
Sinnlich schwärende Beats von Exxon Yaz, Mariachi-Orgel-Pop der Rotosonics, Instrumental-Versionen von Fettes Brot und Eins, Zwo – zwei Dutzend stilistisch unterschiedliche, atmosphärisch aber adäquate, hypnotische Kleinode (bei geringfügigen Ausfällen). 3,0
Raz Ohara – Realtime Voyeur (Kitty-yo)
Der junge Däne lebt in Berlin und entwirft auf seinem Debütalbum als urbanen Schwebezustand ein meditativ-melancholisches Klang-Kaleidoskop, in dem Pop, Dub, House und TripHop oszillieren. Irgendwo Zwischen Japan und Jamaika ausgelotete Tracks, die im Zeitraffer vorüberziehen wie Aufnahmen einer nächtlichen Metropole. 3,0
Beanfield – Human Patterns (Compost Records)
Die begabtesten Programmierer aus dem Compost-Stall von Michael Reinboth schnüren auf dem zweiten Album ein homogenes, harmonisches Bündel aus digitalen Sounds und analoger Melodik, verqueren Beats und organischen Rhythmen, Jazz, Funk und sphärischen Electro-Tupfern zusammen. Komplex, klassisch, bizarr und groovy. 3,5
Dieter Thomas Kuhn & Band – Leidenschaft, Lust und Liebe (WEA)
Wenn im Intro zum frenetischen Jubel des Publikums die Melodie von „Musik ist Trumpf“ erklingt, fühlt man wieder die behagliche Gänsehaut, wie man als Knirps mit seinen Eltern am Samstagabend auf dem Sofa vor dem Fernseher saß und staunte. Dieses Doppel-Live-Album des ebenso schonungslosen wie scheunischen Apologeten der Schlager- und Schunkel-Zerstreuung ist ein schaurig-schönes Zeugnis vergangenen Glamours, als mit Frankenfeld und Heck noch das Wünschen half. 3,0
Cowboy Junkies – Rarities, B-Sides And Slow, Sad Waltzes (SPV)
Wer die kanadischen Emononsverdicbter mal lachen hören will, sollte hier bis zum A-Capella-Hidden-Track warten. Ansonsten bringt diese Archivbereinigung auf dem reaktivierten Label Latent, das schon ihre Frühwerke „Whites Off Earth Now!“ und „The Trinity Sessions“ veröffentlichte, keine neuen Erkenntnisse, aber wertiges Material, das entstaubt gehört Das Spektrum reicht von Covers (etwa Dyians „If You Gotta Go,Go Now“)über Soundtrackarbeiten, Demos und Live-Favoriten (das Velvet-inspirierte „I Saw Your Shoes“) bis zum Traditional „The Water Is Wide“, das der auftraggebende Regisseur als „zu traurig für das Ende des Film“ empfand. So was passiert wohl nur den Cowboy Junkies. 3,5
Freedy Johnston – Blue Days Black Nights (EasrWest)
Auf der melancholischen Seite der Existenz war der Songwriter aus Kansas stets zu Hause, diesmal aber hat er sich gleich ins Zimmer eingeschlossen. „A drowned city was never saved“, singt Johnston gleich zum Auftakt in „Underwater Life“. Großartig sind wieder einige Melodien, um die er seine sanftweinerliche Stimme schmiegt, derweil Produzent T-Bone Burnett das klassische, durchweg domestiziert agierende Line-Up hier und da milde in Streicherund Bläser-Farben tunkt. Konsequent und schön für leicht verzweifelte Stunden taugt „Until The Sun Comes Back Again“. Beste Schlusszeile: „I pick flowers in die snow all day.“ 4,0
Sister Double Happiness – A Stone’s Throw From Love (Innerstate)
Wer Gary Floyd in all seiner ebenso glorreichen wie angreifbaren Verwundbarkeit und Verzweiflung mag, kommt an diesem jetzt exhumierten Akustik-Live-Mitschnitt vom Sommer ’92 kaum vorbei Bei den 15 Songs in nackter, intimer Wohnzimmer-Atmosphäre deutet er nicht nur mit den wackeligen Country-Harmonies von „Maybe“ bereits an, welchen Weg der Sänger später auf Solo-Alben gehen wird. 3,0