Pretenders – Viva El Amor! :: WEA
Chrissie Hynde ist nicht resolut, sie ist rigoros. Reitet Prinzipien wie andere, geringere Leute Steckenpferde. „She’s a hard girl“, urteilte damals schon Johnny Rotten und meinte: anstrengend. Immerzu fordernd, nie lax und lässig. „Biker“ heißt der letzte und beste Track des neuen Albums, in dem sie seufzt: „You bring the biker out in me.“ Die Hynde sehnsuchtsvoll, träumerisch, rettungslos romantisch? „Wild and free“ reimt sie weiter und räumt ein, daß Freiheit und Abenteuer so übel nicht wären. Im Kino etwa. Im realen Leben aber schätzt sie den Motorrad-Rocker als standfesten Renegaten. „The Biker lives by his own principles“, beweihräuchert sie auf Umwegen sich selbst. „Biker“ wollte sie das Album auch nennen, doch die Plattenfirma befand, das liege nicht im Trend, und legte ihr Veto ein. „Viva El Amor!“ dagegen, das hat was. Internationalistisch auf niederstem Niveau. World Beat Chic fiir männliche Feministen und Frauen auf der Suche nach sich selbst Rotwein und Sonne, Kreta oder Kuba. Menschen, mit denen Chrissie Hynde, die sich stolz in die Tradition der „dhick rocker“ stellt, keine Minute verbringen könnte. Wieso also hat sie diesen Titel abgenickt? Sex, sagt sie. Und Überzeugung. Ihr gegenwärtiger Gatte (der weiß-ichwievielte) heißt Lucho, ist Bildhauer, kommt aus Südamerika und „sieht nicht nur aus wie Che Guevara“. Auf dem Cover reckt Chrissie die Faust, ein Foto ihrer Freundin Linda McCartney, treue Kampfgefährtin wider Mc-Donald’s und die aus tiefem Herzen verachteten, gedankenlosen, kadaverkauenden Konventionalisten. Als Vokalistin hat Chrissie Hynde nichts von ihrer Brillanz eingebüßt tonträgerOder contra Kolleginnen, die ihre Haut zu Markte tragen. Die werden im Opener gegeißelt. Nicht sturzbetroffen, sondern mit einem gewissen Augenzwinkern: „Shell get to join the meritocracy/ All the designers send her their new dothes/ She gets to look like Kylie Minogue.“ „Popstar“ heißt der Song, und auch er hat, wen wundert’s, durchaus autobiographische Züge. Er sei an einen Ex-Lover adressiert, sagt Chrissie, der sie für eine jüngere, karrieregeile Sängerin verlassen hat „They don’t make ‚em like they used to“, gibt sie ihm mit auf den Weg. Wohl war. Sieht so aus, als gehöre Chrissie Hynde zu einer aussterbenden Art in einem Geschäft, das vom Image lebt wie Vampire von Blut Typen sind gefragt, nicht Prototypen. Wobei es nicht entscheidend ist, in welche Serie man paßt, ob Barbie oder Schlampe, solange man nur in der Spur bleibt. Patti Smith gehört dieser schwer verkäuflichen Spezies an, Shirley Manson bemüht sich nach Kräften, Siouxsie mischt sich ein, der erfolgreiche Rest gehorcht den Gesetzen des Marktes. Was Chrissie, Patti und Siouxsie noch verbindet: Ihre Vorbilder waren ausschließlich männlich. Rockstars zumeist, Poeten und Pinselschwinger. In Akron, Ohio aufgewachsen, idolisierte Chrissie Hynde aus der Ferne britische Bands, allen voran die Rolling Stones und Kinks. Anfang der 70er Jahre machte sie sich auf nach London, dem Nabel ihrer Welt. Ein androgyner, anglophiler Jungtwen, rockvernarrt und rotzfrech. Sie lernt den geistesverwandten Musikjournalisten Nick Kent kennen und lieben, verdingt sich beim seinerzeit brillanten und wirklich wichtigen „NME“ als Schreiberin, hängt mit Malcolm McLaren, spielt mit Chris Spedding, erlebt die Punkrevolte aus nächster Nähe, gründet mit drei Rokkern eine Band, The Pretenders, und bezaubert an der Schwelle zur neuen Dekade mit einer Kette von Pop-Perlen, die ihresgleichen suchten und deren Strahlkraft bis heute nicht nachgelassen hat: „Stop Your Sobbing“, von Ray Davies geschrieben und von Nick Löwe produziert, das wunderschönanrührende „Kid“, um nur die beiden ersten zu nennen. Stilbildend oder anderweitig musikalisch einflußreich waren die Pretenders indes nie. Nur eben besser als die Konkurrenz. Sogar Ray Davies gibt das zu. Obwohl er für die Ex-Geliebte und Mutter seiner Tochter heute noch weniger übrig hat als für seinen Bruder Dave; obwohl er sich weigert, auch nur ihren Namen in den Mund zu nehmen. „The girl in the Pretenders“, sagt er statt dessen. Die jedoch seien die beste Band der Welt gewesen, „for fifteen minutes“. Immerhin. Nach Davies beglückte Hynde den Simple Minds-Vorsteher Jim Kerr. Noch eine Tochter, wieder Zoff und Zunder, eine weitere brennende Brücke, die sie hinter sich abreißt „Baby’s Breath“, ein Highlight der neuen LP, könnte dem Schwulst-Rocker gewidmet sein: „Ybu’re so pensive“, singt Chrissie höhnisch, „but your thoughts are insignificant“ Überhaupt ist die Unversöhnliche lyrisch voll auf der Höhe, so manche Wendung gemahnt an alte Miütanz. Am Gesang läßt sich ohnehin nichts aussetzen. Keine Mitbewerberin auf den Thron der „Queen of Chick Rockers“ verfügt über eine so facettenreiche Stimme, mal messerscharf und schneidend, im nächsten Moment von tremolierender, trunkener Hingabe. Die Melodien halten da nur ausnahmsweise mit, etwa bei „Biker“ oder dem sublimen „Human“. Was an anderer Stelle oft fehlt, ist ein musikalisches Äquivalent zu Hyndes Gefühlsausbrüchen. Die Arrangements sind einen Tick zu geschmackvoll, die Produktion von Stephen Street und Stephen Hague allzu exakt und austariert. „Dragway 42“ arbeitet mit Schleifen und flirtet heftig mit Sixties-Psyehedelia, doch klingt alles so clean und adrett, daß sich ein Psych-Effekt partout nicht einstellen will. Ähnlich angedeutet und unrealisiert bleibt das TripHop-Ambiente in „Samurai“. Die Riffe gebremst, das Schlagzeug wattiert, ist „Nails In The Road“ bestenfalls ein Rock-Versuch. Und „One More Time“, eine offene, fragile Ballade, leidet schrecklich an instrumentaler Anämie, gerade weil sich Chrissie in die Kopfstimme fallen läßt und Soul insinuiert. So viel Emphase wird dem Mikro anvertraut, so wenig Energie geben die Amps zurück. Sicher läßt sich mit den modernen, auf Klangkompression basierenden Produktionsmethoden von vornherein nichts Wildes, Wüstes, Archaisches mehr manifestieren, diese Zeiten sind vorbei. Aber einen Anflug davon, hier und da, hätte man sich schon gewünscht Wie seinerzeit in „Back In The Chain Gang“, Hyndes Ode an den verstorbenen Pretender James Honeyman-Scott. Doch da sind Limiter vor. Und die unglückselige Ambition, ein Klangbild zu entwerfen, das sich unauffällig einfügt ins allgemeine digitale Nivellement Mit Honeyman-Scott und dem ebenfalls an einer Überdosis krepierten Pete Farndon ist vor langer Zeit schon die Opposition gegen Kuscheltendenzen abgetreten, und der Ersatz ist keiner. Jeff Beck bringt auf „Legalise It“ eine Prise Schärfe ins Spiel, doch zu einem kompakten, drückenden Band-Sound reicht es auch hier nicht Neben diesen Pretenders muten Tom Pettys Heartbreakers an wie Social Distortion. Chrissie Hynde hat freilich schon windelweichere Backings überlebt: ÜB 40! „Viva El Amor!“ ist,/br better or worse, ein Solo-Album. „There was a time I thought you were magnificent“, singt Chrissie. YbustiUare. Viva LaHynde! wolfgang doebeling