Global Village von Klein-Josch-Müllrich
Wenn jemandem der Ehrenbürgertitel des Monats im „Global Village“ gebührt, dann einem Mann aus Salvador da Bahia. Seine Markenzeichen: Rastamähne, Teesieb-Brille und 500 Kompositionen – wenn Mr. Unberechenbar alias CARLINHOS BROWN ins Rampenlicht tritt, ist für Irritationen gesorgt Der Vordenker der afrobrasilianischen Moderne, Gründer des Percussions-Orchesters Timbaiada und Songwriter für nahezu jede Größe der Brasil-Szene zwingt uns auf seinem zweiten Opus zu einem Wechselbad, das sich nicht nur aus bahianischen Quellen speist. Mit Batucada-Rock und Garagen-Reggae, süßlichen Streicher-Schnulzen und einer ordentlichen Dosis Britpop-Attitüde erzeugt er eine tabulose Mixtur, wie sie die Tropicalisten-Urväter Yeloso und Gil gefordert, aber nie so spielerisch erreicht haben. Kuriose Krönung: Die Muse Marisa Monte trommelt hier nicht nur mit, sondern produzierte gleich die ganze amüsante Achterbahnfahrt des „Omelete Man“.(Virgin) 4,5
Gesetzter geht es da schon in Rios CASA DE MAE JOANA (Exil/Indigo) zu: Hier trifft sich die Alte Garde aus der goldenen Samba-Zeit, ein intimer Kreis von Eminenzen, die fernab vom Pomp des Carnaval mit Augenzwinkern der melancholischen Essenz ihres Lebens auf Gitarre, Ukulele und Tambourin nachhorchen. Eine herzliche, fast ergreifende Liebeserklärung an den Favela-AUtag der Metropole und zugleich der Beweis, daß ergraute Latino-Größen einen Ry Cooder entbehren können, um ihren dritten Frühling zu erleben. 4,0
Apropos Kuba-Boom: Wenn auf dem Cover ein Ami-Schlitten in einer schummrigen Seitengasse parkt, ist das ein listiger Eyecatcher für Buena Vista-Begeisterte, dachte sich wohl die Firma Auvidis. Dabei tönt das CUARTETO DE SAXOFONES DE SANTIAGO (Helikon) so gar nicht nach Son und Salsa. Vier Herren aus dem Osten der Zuckerinsel haben sich – nur mit ihrem Gebläse ausgestattet – an Bolero, Rumba und ein paar Pop-Klassiker gewagt (muß es gerade „Michelle“ von Lennon/McCartney sein?). Latin-Jazz aus einem ungewöhnlichen Hörwinkel. 3,0
Rumba – allerdings in ihrer rauhen Form ohne Salongeglitzer – ist auch das Thema von Kip Hanrahans neuestem Projekt, auf dem er exilkubanische Percussions-Größen zusammenfuhrt, alte Bekannte der New Yorker Latin-Szene wie Puntilla Orlando Rios und Milton Cardona. Deutlich spürbar wird der einst rituelle Hintergrund dieses Tanzes, wenn Hanrahan und sein Ensemble aus den Vokalpassagen zu explosiv treibenden, hochvirtuosen Improvisationen auffliegen, um dann wieder in leisen Poesie-Einschüben Entspannung zu finden. DEEP RUMBA: „This Night Becomes A Rumba“ (American Clave/in-akustik). 3,5
Und wer noch tiefer in Kubas Spiritualität eintauchen möchte, der sollte die Klänge auf sich wirken lassen, die das Team aus dem Hause Soul Jazz Records (Indigo) in Havanna fing: SANTERIA – SONGS FOR THE ORISHAS ist ein faszinierendes Dokument der christlichafrikanischen Misch-Religion und begeistert zudem durch hintergründiges Wissen im Beiheft Zusammen mit dem eher mit Patina überzogenen BATUCADA/CAPOEIRA-Album, auf dem sich bis zu 30 Jahre altes Urmaterial für die Riege der latinverrückten DJs unserer Tage tummelt, hat das Londoner Lab el eine kraftgeladene Huldigung an die Rhythmen Lateinamerikas vorgelegt 4,5 und 4,0
Percussion-orientiert gibt sich auch der dürre Süden Madagaskars, wo es der Combo VAOVY gelungen ist, mit sparsamen Mitteln wie der knorrigen Lokanga-Fiedel, Akkordeon, Blues-Harp und ganz besonders berückendem Chorgesang Interesse für eine abseits unseres üblichen Weltenbummler-Horizontes befindliche Kultur zu wekken.“Vamba“ (Label Bleu/EFA) ist das zweite Werk der Vertreter des Antandroy-Volkes und ein Aufruf an alle Madegassen, dem dritten Jahrtausend mutig entgegenzugehen. 3,5
Als Fela Kuti starb, war seine Nachfolge längst geregelt – Sohn Femi hatte schon seit einiger Zeit das Anliegen des „gefährlichsten Musikers der Welt“ weitergeführt – beißende Kritik am Regime, satte Bläsersätze zwischen Funk und Afro-Wurzeln, trancehafter Bigband-Sound: FEMI KUTIs „Shoki Shoki“ (Polygram). 4,0