Hole :: Celebrity Skin
Die Frau, die ihre Haut zu Markte trägt, mag verrückt sein, aber dumm ist sie nicht. Witwe, Vettel, Junkie, Schlampe – alles war sie schon im wirklichen Leben, und dann spielte sie in Milos Formans Film „The People Vs. Larry Flynt“ Witwe, Vettel, Junkie und Schlampe, gleich alle in einer Person. Nach angedichteten oder auch genossenen Techtelmechteln mit ungefähr jedem langhaarigen Hänger, der nach Cobains traurigem Heimgang Trost spenden konnte, geriet Courtney Love an einen Typen, der weder ein Hänger ist noch lange Haare hat. Mit Billy Corgan, möglicherweise legitimer Nachfolger Cobains als Leidensmann, bekam sie sich beim Songschreiben jedoch angeblich in die Haare. Billy will davon nichts gemerkt haben; per Fax erfuhr er von seiner Demission als Helfer.
Das selbsternannte girl with the most cake braucht nun bloß noch mütterliche Wärme, um Madonna als mater dolorosa des Unterhaltungsgewerbes abzulösen. Allein, sie hat ja schon ein Kind! Frances Bean, wie man hört, gedeiht prächtig. Gewisse Anfälle von Hysterie, ja Eitelkeit überwältigen Love zuweilen; ihr Management mag da nicht hintanstehen: Bettelten früher Beauftragte um Beachtung der ersten, furiosen Hole-Platte „Pretty On The Inside“, müssen Berichterstatter heute ihren Verzicht auf das Recht am eigenen Wort vom Notar beglaubigen lassen. Aber man macht es gern.
Ach, übrigens: Das neue Album heißt „Celebrity Skin “ und variiert das Motiv der sehr erfolglosen Liedersammlung „My Body, The Hand Grenade“, die das sog. Indie-Schaffen von Hole beendete. Diese Frau ist eine Granate. Wir haben es hier mit einem fetten Rock-Album zu tun, das in diesen Zeiten merkwürdig anachronistisch wirkt und auch bei den von Billy Corgan mitverfaßten Songs charmant den Eindruck erweckt, es sei um 1988 aufgenommen worden. Allzuviele Köche haben diesen Brei zusammengerührt – Gitarrist Erlandson verantwortet die meiste Musik, manchmal zusammen mit Corgan, manchmal auch mit der Bassistin, die aparterweise Auf der Maur heißt, und selten auch mit Love selbst, die selbstverständlich alle Texte allein geschrieben hat.
Texte, die aus dem Tagebuch der Josefine Mutzenbacher stammen könnten: „When I wake up in my makeup/ Have you ever felt so used up as this/ It’s all so sugarless/ Hooker waitress model actress/ Oh just go nameless.“ Und die Zuckerlose schließt: „You want a part of me/ No I’m not selling cheap.“ Wahrlich, den Vorwurf kann man ihr nicht machen.
Es kommt vor, daß man bei der Lyrik an Corgansche Poesie denkt, etwa bei dem erhabenen Kitsch „Heaven Tonight“: „I feel the horses/ Coming gallopping/ In the summer rain/ Take you to heaven tonight.“ Das als Jingle-Jangle-Pop, der den Go-Go’s gut gefallen hätte. Eric Erlandson scheint andere Interessen zu haben, als dieses Album ahnen läßt. Doch selten scheinen seine Talente auf. Courtney Love rüttelt zeternd am Käfig, die Gitarren zerren und quengeln ordentlich, doch mehr als das handelsübliche Gelärme entsteht nicht Im Unterschied zum dilettantischen und deshalb um so erschütternderen Debüt-Album klingt „Celebrity Skin“ wie das um Dreckigkeit bemühte „Billboard“-Top 5-Album bewährter Fachkräfte, die den Punkrock in Regionen hieven wollen, die von Godzilla, der Stadt der Engel und den Backstreet Boys regiert werden. Konsequent wäre es gewesen, neben Corgan auch auf die Talente von Evan Dando, Michael Stipe, Elliott Smith und Matt Damon zurückzugreifen.
Doch ist nicht alles egal auf dieser Platte! Das überraschend schlicht instrumentierte „Northern Star“ ist ein angenehm rauhes Erlandson-Stück, und Courtney knarzt kratzbürstig, jawohl: „All the angels kneeling to the northern lights.“ Man fragt sich doch allmählich, woher diese beinahe christliche Spiritualität kommt. Ist Courtney Love etwa Maria Magdalena, die Sünderin, der vergeben wurde? The girl with the most Jesus? Sogar beim unverdächtig banalen „Boys On The Radio“ flattern die Schwingen: „I let you in, under my skin/ And risen every angel slain.“
Je nun, es ist alles recht konventionell und gar nicht sensationell. Der Trash der frühenjahre ist aufgebraucht dafür schaut der Teint heute besser aus. „Teenage Whore“? Vorbei, vorbei. In der bescheiden produktiven Plattenkarriere von Hole nimmt „Celebrity Skin“ hinter „Pretty On The Inside“ und „Live Through This“ leider den letzten Platz ein. Aber Unterhaltungswert und altmodische Arschkick-Tugenden dieser Platte werden in diesem Jahr nur noch von einer einzigen Band von Weltrang übertroffen.
Und der Name dieser Band ist Kiss.