SHORT CUTS :: VON WOLFGANG DOEBELING

FORMIDABEL

Waren die Blasters einst berühmt, nein berüchtigt, für ihre stets stilbewußten, aber ebenso brachialen Kollisionen mit der amerikanischen Tradition, hat ihr ehemaliges Mitglied DAVE ALVIN als Solist längst seinen Frieden mit ihr gemacht Die Blasters zelebrierten Rockabüly mit bluesigem Aplomb. Dave Alvin ist vor diesem fundamentalistischen Hintergrund zu einem der besten Songwriter des Kontinents herangereift, eine Art US-Gegenstück zu Nick Löwe. Wie der ist Alvin nebenbei erfolgreicher Produzent, wie Löwe hat er auf seiner aktuellen LP „Bkckjack David“(Hightone/Fenn) die Rocker weggesperrt und frönt der Melancholie, singt von liebe und Leid, Sünde und Vergebung. Ein wunderbarer Song-Zyklus über Kleinstadtfiguren und kleine Mythen, halbakustisch, voller Leben.

Das pralle Leben findet auch in den Rillen der Debüt-LP von KIM LENZ AND HER JAGUARS (Hightone/Fenn) statt, eine Rakete von einer Platte, siedend heiß und very, very cool. Allein das phantastische Cover, eine liebevolle Nachbildung von „Gene Vincent And The Bitte Caps“, ist den Preis locker wert Miss Lenz aus Dallas sieht nicht nur aus wie ein Vulkan, sie singt auch so. Ihre multiplen Eruptionen begleiten die Jaguars mit authentischem, fast rustikalem und fein zwingenden Rockabilly, live und mono aufgenommen, also vollkommen gefühlsecht Anachronistisch? Sicher, so wie flüssige Lava, reines Wasser, Johnny Cash und Sex ohne Gummi.

MICHAEL FRACASSO ist „nur“ Wahltexaner, hat sich aber von Austin aus global Gehör verschafft. Mit seiner Band Hamilton Pool (siehe „Rare Tracks“ im letzten Heft), aber mehr noch als Solist „World In A Drop Of Water“ (Bohemia Beat/Fenn) ist seine dritte LP, musikalisch Folk Rock, bald herb, bald süß. Fracassos hohe, knabenhafte Stimme und seine satten Melodien kontrastieren so hübsch mit der eher reduzierten, spröden Instrumentation, daß die zuweilen bemühte Lyrik (da reimt sich schon mal „diploma“ auf „coma“) kaum ins Gewicht fallt Charlie Sextons ruhige, unaufgeregte Produktion und ein Gastauftritt der überaus reizvollen Kelly Willis tun ein übriges: check it out.

AKZEPTABEL

Es brauchte einen Hochstaplei; der sich für PETER GREEN ausgab, um den echten vor ein paar Jahren aus jenem Loch zu locken, in das er sich verkrochen hatte auf der Flucht vor den Fängen des gefräßigen Musikbetriebs. Wunderlich war Green schon, als er seinen „Albatross“ fliegen ließ, jetzt ist er wunderlicher. Gute Voraussetzungen also für einen weiteren Versuch, „The Robert Johnson Songbook“(Arco/KTD) zu reinterpretieren, doch verlangt der existentielle Blues des enigmatischen Genies mehr als respektvolles Jamming. So funktioniert der „Phonograph Blues“ (trotz überflüssigem Piano) und der „Terraplane Blues“ (dank sparsamer Slide-Fills), aber die dunkleren Songs bleiben blaß. Handwerk, ehrenwert und phasenweise fade.

IAN DURY & THE BLOCKHEADS, ebenfalls fast der Vergessenheit anheimgefallen, tauchen mit „Mr. Love Pants“ (CNR Music) aus der Versenkung auf. Die Mixtur ist die alte. Dury grantelt Frivolitäten, die Blockheads bedienen sich bei Funk und Pop, bei Music Hall und Vaudeville, durchaus humorvoll. Anders als zu Stiff-Zeiten ist der Sound jedoch glatt, die Melodik gepflegt, Dury jovial, wo er früher Gift spritzte. Muß seinen Rhythm Stick verloren haben.

Noch länger pausiert hat goodoldboy GREGG ALLMAN, dessen „Searching ForSimplicity“(Epic) dem Titel bestens gerecht wird. Gregg hat das Grunzen nicht verlernt, das Backing ist erfreulicherweise frei von virtuosem Geplänkel, die Produktion verzichtet auf Schnickschnack, und die auserwählten Songs sind safe, aber saftig. „Dark End OfThe Street“ hat man öfter schon beseelter gehört, aber wenn sich Allman auf seine eigenen Wurzeln besinnt, etwa auf den alten Live-Abräutner „Whipping Post“, den Allman Brothers-Fans zu feiern verstehen wie Lynyrd Skynyrd-Fans „Free Bird“, zahlt sich der Versieht aufBoogie-Brunst in Dimes und Nickels aus. Dobro statt Macho. Begrüßenswert.

Das gilt nicht minder für eine Ausgrabung, die bereits seit gut zwei Dekaden als Bootleg kursiert Jetzt aber legal zu haben ist: „Another Stoney Evenmg“ (Grateful Dead Records) von CROSBY & NASH. Aufgenommen im Oktober 1971 bei einem Gig in Los Angeles, mithin in der Blüte ihrer Popularität, bringen die Harmonie-Meistersänger auch Material von ihren jeweils ersten Solo-LPs zu Gehör, sowie die damals fest zum Repertoire gehörenden In-Jokes für Pot-Jünger. Die ungesetzliche Ausgabe der Platte heißt denn auch „A Very Stoney Evening“. Hippie-Gemütlichkeit, harmlos.

Noch einen Grad harmloser ist „Gigant 200“ (Fourtune Music) von THE HAMBERDEACONS aus München. Die Deacons, you see, haben sich mit Haut und Haaren dem Sixties-Beat verschrieben, peppen ihn ein bißchen mit Powerpop auf, lassen die Gitarren auch schon mal neo-mäßig heulen und covern Paul Simons über die Maßen brillantes „The Sounds Of Silence“ (nicht einmal übel). Good clean fun also, Musik, die beim Bügeln stört – so die Selbsteinschätzung des Quintetts – ist es freilich mitnichten.

Das trifft schon eher auf AGENTENMUSIK zu, ebenfalls aus deutschen Landen und mindestens ebenso militant Sixties-verschroben. Doch wenn die Chamberdeacons ein pflegeleichter, schmuseweicher Rollkragenpulli sind, kratzt das Kamelhaar-Sakko des Instrumental-Quartetts ganz fürchterlich. Hier sind wohlmeinende Dilettanten am Werk, was Tracks wie „In den Händen des Hetzers“ oder „Krawattenklau bei Lord John“ erst den rechten Trash-Hautgout verleiht. „Agentenmusik“ (Avalanche/Swamp Room. Auf dem Loh 18,30167 Hannover) ist die Schnittmenge aus John Steed, den Flee-Rekkers und Schülerstreich. Nicht unflott.

MARION, vor gerade zwei Jahren noch eine der großen Britpop-Hoffnungen, überschreiten mit ihrer zweiten LP „The Progntm“ (London) die Demarkationslinie zwischen Pop und Pomp. Hatten sich auf ihrer fulminanten Single „Sleep“ noch die Smiths mit R&B vereinigt, produziert Johnny Marr, der es besser wissen mußte, hier ein aufgeblasenes Nichts aus gotischem Chic und lärmendem Pathos, nicht so schlapp natürlich wie „Neapolis“ von Simple Minds, aber schon im Fahrwasser von U2 (circa 1988). Schade genug.

MISERABEL

Geradezu eklig ist der gefönte Schlock, den CRAIG CHA-QUICO auf „OnceIn ABitte Uniterse“ (Higher Octave/Virgin) als „ambient rock“ andient Chaquico ist Ex-Gitarrist von Jefferson Starship, der womöglich klebrigsten Westküsten-Band aller Zeiten. Ambient findet nicht statt, Rock glänzt durch Abwesenheit. Dies ist New Age.

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