DRUCKSACHEN :: von Wolfgang Doebeling
Dem Britpop vor den Beatles räumt der Buchmarkt derzeit breiten Raum ein. Dave McAIeer, dem wir mit „Beatboom!“ einen der bunteren Bände über die Mid-Sixties im UK verdanken, legt mit „HIT PARADE HEROES“ (Hamlyn, ca. 35 Mark) jetzt ein kurzweiliges, stilecht in Duoton bebildertes, allerdings recht konventionell geschriebenes Geschichtsbuch vor über jene Epoche, als King Cliff herrschte, der Pop-Adel auf Namen hörte wie Faith oder Fury und, wie Marty Wilde im Vorwort richtig bemerkt, alles streng britisch blieb, weil der Weltmarkt noch in den Windeln lag. Wer Nachhilfe braucht für Lerneinheiten wie Skiffle oder Jive 8t Twist, wer mehr wissen möchte über den „Coffee Bar Gilt“ oder „Englisb Eccentrics“, wird freundlichst bedient. 3,0
Besser, weil detaillierter und die sich veränderte Binnenstruktur des Britpop von innen ausleuchtend, ist „SEVENTEEN WATTS?“ (Sanctuary, ca. 55 Mark) von Mo Foster, der als gefragter Session-Bassist schon mit Cliff Richard und Van Morrison spielte, mit Jeff Beck und Scott Walker. „The First 20 Years Of British Rock Guitar. The Musicians And Their Stories“, lautet der wenig vertrauenerweckende Untertitel, doch können wir guten Gewissens Entwarnung geben. Nein, dies ist keines jener masturbatorischen Techniker-Manuals, die gewöhnlich dabei herauskommen, wenn Musiker für Musiker schreiben. Foster spart den Tanz um die goldene Gitarre zwar nicht aus und verliert sich schon mal vorübergehend in einem Gewirr aus Kabeln und Saiten, doch verstellt ihm das nicht den Blick auf das menschliche Moment, die musikologischen Zusammenhänge, den sozialen Kontext. Allein die Passagen über unbesungene Heroen wie Jim Sullivan und Mick Green lohnen die Lektüre allemaL Wie Hank B. Marvin im Vorwort schreibt: „It’s a great read.“ 4,0
„HAMBURG – THE CRADLE OF BRITISH ROCK“ (Sanctuary, ca. 40 Mark) nennt Alan Qayson apodiktisch seinen reichlich schludrig recherchierten Report über die Sturm- und Drang-Jahre von einem runden Dutzend Vertreter späterer Britpop-Prominenz und semi-talentierten Verlierern wie Kingsize Taylor und Tony Sheridan. Die Beatles spielen natürlich die Hauptrolle, doch erfährt man nichts Neues, außer vielleicht, daß das Liverpooler Quartett „Pilzen Kopfs“ trug und die Mädchen im Publikum zu schwärmen pflegten: „Ach Gott, der ist lieblich.“ Die Grenze zwischen Lüge und Legende, zwischen Fakt und Furz ist fließend. Glaubt man Gayson und seinen Zeugen, war St. Pauli Anfang der Sechziger Sündenpfuhl und Nabel der Welt, Sündenbabel! Ach, was wären wir gerne dabei gewesen. Sang, Suff und Schlimmeres. Willige Weiber! Der englische Hallodri als Held, als Hemingway mit Stratocaster und – das gehört dazu wie Bier zum Frühstück – Tripper. Dann könnten wir wie Ray Ennis von den Swinging Blue Jeans vor unseren Kindern renommieren: „Some fellows of fifty have never seen a quarter of what I saw at seventeen.“ 2,0
Vom selben Autor stammt das weit substantiellere „DEATH DISCS“ (Sanctuary, ca. 50 Mark). „An Account Of Fatality In The Populär Song“. Spiel mir das Lied vom Tod. Qayson unterteilt das Sterben auf Tonträger sinnig und sauber in 15 Schubladen, beschriftet sie mit „Do The Dangle“ oder „In The Ghetto“, verstaut darin hunderte Exponate, von Adolf Hitler (!) über Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich bis zu den Rattles („The Witch“!?), hat aber offenbar noch nie von Nick Cave gehört oder von Townes Van Zandt. Muß eine qualitativ lausige Plattensammlung haben, der Mann. Trotzdem, nicht zuletzt der Materialfülle wegen, die Lektüre wert. 3,0
Das gilt für „COURTNEY LOVE“ (dtv premium, 26 Mark) von Poppy Z. Brite nur, wenn man sich für die „talentlose, dämliche Hure“ (Noel Gallagher) brennend interessiert Ob sie ihren Kurt nun hat umbringen lassen, wie eine wachsende Zahl von Nirvanianern via Internet behauptet, wird außen vor gelassen. Dankenswert unzweideutig wird indes die Frage beantwortet: Schlampe oder Schlampe? Ein prototypischer Auszug: „Robin fand Courtney in ihrem Bett. Überall lagen angebissene Bagels, Zeitschriften und Zigarettenkippen herum. Jeder andere wäre wohl einigermaßen zerknirscht gewesen, aber Courtney strich sich nur eine wasserstoffblonde Haarsträhne aus der Stirn, warf Robin einen Blick zu und knurrte: ,Glotz mich nicht so an, Barbur, oder ich trete dir in den Arsch.'“ Welche Aura, welche Prosa. 1,0
In deutscher Sprache liegt nun auch Gerard Herzhafts „ENZYKLOPÄDIE DES BLUES“ (HannibaL 65 Mark) vor, ein französisches Standardwerk, das selbst in Amerikas Blues-Zirkeln für mehr als nur wohlwollende Aufmerksamkeit sorgte und vor allem von der Liebe des Autoren zu seinem Untersuchungsgegenstand kündet und zehrt Ergänzt durch einen kurzen Abriß über den „Blues im deutschsprachigen Raum“ von Thomas Gutberiet, der auch das Lektorat besorgte, und einen ausführlichen Anhang mit Bibliographie, Diskographie und Musiker-Instrumente-Index, bietet der Band nicht nur dem Novizen viel brauchbare Basisinfbrmation. Ärgerlich sind allenfalls kleinere Satz-Pannen und die zuweilen etwa fragwürdige Gewichtung. So widmet Herzhaft der eher marginalen Figur des Sugar Blue eine ganze Seite, während der große Dave Van Ronk in ganzen acht Zeilen abgehandelt wird.
3,5
Das eklatante Qualitätsgefälle der porträtierten Künstler und der manchmal allzu hausbackene Schreibstil sind die einzigen Wermutstropfen von „NO DEPRESSION“ (Dowling Press, ca. 45 Mark), einer Art Best-Of-Compilation des gleichnamigen Alt-Country-Magazins, herausgegeben von dessen Redakteuren Peter Blackstock und Grant Alden. Da stehen wohlmeinende Epigonen wie Blue Mountain, Golden Smog oder BR5-49 neben Monumenten wie Charlie Louvin, Mickey Newbury oder Chip Taylor. Trotzdem ein vergnüglicher Reader für Szene-Frischlinge, Spätheimkehrer und Quereinsteiger. Der Höhepunkte gibt es einige, vor allen anderen das Gespräch zwischen den Alt-Oudaws Waylonjennings und Billy Joe Shaver, die Essays und Artikel über Guy Clark, Johnny Rodriguez, Freakwater und die Bad Livers. Im Anhang wird die „ND101“ präsentiert, eine Shopping-Liste für 101 essentielle Genre-Alben, die sich freilich selbst tendentiell entwertet durch die dubiosen Kriterien: erstens nur eine Platte pro Künstler, zweitens nur Titel, die momentan auf CD erhältlich sind. So wird uns als Ersatz für „The Gilded Palace Of Sin“ allen Ernstes eine anonyme Best-Of-Sammlung der Flying Burrito Brothers angedient. Quatsch. 3,5