SHORT CUTS :: VON HÜTTMANN & WILLANDER

FORMIDABEL

Gleich ein Dreifach-Album braucht es für das Reunion-Konzert der fabelhaften FAIRPORT CONVENTION vom Herbst 1992. „The Cropredy Box“ (Woodworm Records) ist eine wunderbar britische Angelegenheit, bei der stets Tweed, Cricket und Picknick-Körbe mitschwingen. Die Musik ist „Folk Rock“ (Wolfgang Doebeling) von unvergänglichem Zuschnitt Selbstironisch posieren die alten Zausel über dem Schriftzug „Old Boys‘ XVI Season“, und wenn Richard Thompson zu Dylans „Jack O‘ Diamonds“ anhebt, schwelgt man in einer Musik, die heute nicht mehr gemacht wird. Cohens „Suzanne“ hat man so noch nie gehört. Nur Ashley Hutchings irrte sich: Er weiß nicht, daß man zu dem Bob-Lied „Million Dollar Bash“ ebenso wenig „new lyrics“ schreiben darf wie zu dem Buch Mose.

Ebenfalls Britishness at its best: Für die löbliche „Red, Hot & Blue“-Un- ternehmung haben Britanniens Pop-Könige „20th Century Blues“(EMl) aufgenommen, eine Sammlung mit Songs des multitalentierten Bühnen-Autors, Journalisten, Songschreibers und Salonlöwen NOEL COWARD. Neil Tennant gab den Ton vor, Texas, The Divine Comedy, Robin Williams, Bryan Ferry, Space, Suede, Dämon Albarn und sogar Elton John und Paul Mc-Cartney folgten. Der gemütlichen Exzentrik Cowards entspricht die oft genug überraschende Methodik der Beteiligten, etwa Neil Hannons Techno-Donner bei „I’ve Been To A Marvellous Party“. Die Pet Shop Boys, stilsicher wie immer, triumphieren mit „Sail Away“; McCartney macht mit seiner hemmungslos nostalgischen Fassung von „A Room Widi A View“ die Sünden von 25 Jahren fast wieder gut Burlesk, altmodisch und sympathisch wie ein Hausschuh.

„From: Disco To: Disco“ heißt ein Song von Whirpool Productions, deren Mitglied ERIC D. CLARK diese Haltung nun auf seinem Soloalbum „Für Dancefloor“ mit endlosen Rhythmusschleifen aus prägnanten Samples umgesetzt hat. Zuweilen weniger verspielt und variabel als Whirlpool, dafür exzentrischer und direkter. Herzstück ist natürlich der Titelsong, der zu einem House-Vocal über zehn Minuten durch ein Beatgewitter und zahllose Soundschnipsel peitscht Für Tanzwütige.

HACIENDA hieß Anfang der Neunziger ein angesagterClub in der Ravetown Manchester. Club-Atmosphäre vermitteln unter diesem Namen auch die Frankfurter Marcus Finger und Jürgen Kadel mit ihrem Electronic Listening auf ^N-irrtm«rf£)ies‘ r (Infracom!) eine Musik mehr für Jazz-Cafes als die Disco. Mit Drumcomputer und Synthesizern, Wurlitzer, Hammond-Orgel und sogar Gitarre verknüpfen sie altmodische Melodien mit neutönenden Beats, ohne sich plakativ bei Phrasen aus dem TripHop oder Drum’n‘-Bass anzubiedern. Zu „Flanell Sunset“ könnte man Dias von Eddie Constantine zeigen oder die Jerry-Cotton-Filme laufen lassen. „Sci-Fi-Saloon“ ist ein entspannt groovender Ritt auf Synthi-Sphären und dezenten Beats. Wo sind eigentlich Kruder & Dorfmeister?

AKZEPTABEL

James Beattie und seine ADVENTURES IN STEREO arbeiten an einer Blaupause der Beach Boys, bei der nur die Obertöne bleiben. Das Gesäusel von Judith Boyle allerdings verleidet bei „Alternative Stereo Sounds“ (Marina/Indigo) ein wenig das leichte Hören, es ist zu süß. Beatties Songs schwimmen zwar in Milch, haben deshalb aber keinen Biß.

Dasselbe gilt für JAY JAY JOHANSON, der aus Schweden stammt und die dort grassierende Begesieterung für Easy-üstening-Pop, Chanson und Elektronik-Bossa Nova recht putzig transportiert „Tattoo“ (RCA) enthält Petitessen wie „Lychee“ und „Sunshine Of Your Smile“ und ein paar andere Dinge des Lebens.

Alles ist ein Spiel: Die vier Berliner LEMONBABIES kuscheln nackig (und nicht neckisch) auf dem Cover des neuen, zweiten Album, das „Porno. „(Four Music) heißt – und das hat alles nichts zu bedeuten. Was bedeuten soll, daß sie einfach ungezwungen sind, aber nicht lotterhaft, dem Girlie-Image entwachsen und für das momentane Mediengeblähe über Bekenntnisse zum Schlampentum trotzdem nicht zu haben. Die Ricky posierte ja auch für den „Playboy“ und Jasmin Gerat oben ohne in „Max“. Das macht Spaß. Also Sinn. Und vielleicht fühlen sich die Männer in den Musikredaktionen dadurch animiert, mal die Platte zu hören. Darauf wirbeln die Babes alles durcheinander, was irgendwie einen Sound ergibt, Gitarrengeschrammel und Elektrobeats, Punk mit spacigem Piepsen und betörende Pop-Refrains mit Songtiteln wie „Girl’s Affair“ und „My Fish Is Hungry“. Das macht zwar keinen Sinn. Aber Spaß. Demnächst bei Verona?

JOSH ROUSE ist ein hemdsärmeliger Amerikaner im Holzfäller- Hemd, der gefällige und handwerklich komplette Songs schreibt Unter dem enigmatischen Titel „Dressed Up Like Nebraska“ (Ryko/RTD) erzählt er zu akustischer Gitarre und Cello undramatische Geschichten wie „The White Trash Period Of My Life“. Hübsch und kontemplativ.

NO SPORTS spielen passablen Ska wie viele Kapellen, die nicht aus der Heimat des Riddim kommen, also keine Roots und vermutlich auch keine Kultur haben. Deshalb nennen sie ihr neues Album entschlossen „Riddim, Roots An‘ Culture“ (Deshima Music), das klingt so schön, und es tönt die notorische Mucker-Spielfreude.

MISERABEL

Die ekligsten Rapper der Welt sind wieder da, und sie haben das ekligste Cover der Welt, das uns der Anstand abzudrucken verbietet. THE 2 LIVE CREW feiert in gemischter Besetzung eine Orgie, die allerdings recht inszeniert wirkt „The Real One“ (Deep Groove/BMG) ist eine herrliche Schweinerei mit dem Höhepunkt „Ride With Me (Bottom Style)“ und dem unvergessenen KC von KC And The Sunshine Band.

Der Stuttgarter Markus Brendel gewann mal einen Talentwettberwerb des SDR und war auch mal in London. Deshalb heißt seine Band heute THE BRENDALLS: JNot The Time To Write A Love Song“ dudelte beim „Tatort“ und, so fabuliert die Plattenfirma nicht ungestraft, „hat Deutschland vermutlich nachhaltiger mit Britpop infiziert, als es Oasis oder Blur je gelang“. Der „Bob-Dylan-Verehrer“ Brendel habe „zwar keine Botschaft an die Welt, aber mir gehen tausend Gedanken durch den Kopf, und einen Teil davon sollen die Leute auch mitkriegen“. Die Lala auf „Frequently“ (Deshima Music) soll das Schwabenland schon restlos infiziert haben.

Schnuckelchen LEANNRIMES hat das Outfit geändert – die 15jährige sieht jetzt nur noch aus wie 25. Auf

„Sitting On The Top Of The World“ (Curb/Intercord) macht sie es Shania Twain nach und singt über dieses und jenes sowie Liebeslyrik in beliebigen Arrangements. Am Ende donnert „Purple Rain“ mit einer vokalen Wucht und einem Opern-Aplomb, die The Artist erschrecken würde.

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