JACKIE BROWN :: WEA

Sie erinnern sich an diese Szene: Uma Thurman und John Travolta kommen aus Jack Rabbit Slims Restaurant zurück, wo sie zu „You Never Can Tell“ den Twist Contest gewonnen haben. Während Travolta auf der Toilette gewichtige Gründe aufzählt, warum er Thurman nicht vögeln sollte, spult sie ein Tonband zurück. Keine Cassette, sondern eines dieser Geräte aus der Prä-Digital-Ära, die wie Filmprojektoren aussehen. Mit theatralischer Geste drückt sie die Play-Taste, tänzelt dann zu „Girl, You’ll Be A Woman Soon“ durchs Zimmer, bis sie Travoltas Heroinpulver schnupft, das sie für Koks gehalten hat. Aber erinnert sich jemand an die Interpreten der Songs? Vielleicht gerade noch an Dick Dale, dessen Comeback schneller abbrannte als sein Surf-Song „Misirlou“ am Anfang von „Pulp Fiction“. Nicht nur der Film, auch das Album schien von Quentin Tarantino zu sein.

Soundtracks stehen selten im eigenen Recht, vor allem seit diese als getarnte Compilations selbst bei mäßig erfolgreichen Filmen besser verkauft werden als reguläre Pop-Alben. Außer einer Titel-Theme der Original Music Front The Motion Picture kommen die Songs im Film meist nicht vor. Unter dem Markennamen „Mission: Impossible“ wurden sogar drei Variationen und eine „Best Of“ von Lalo Schifrin vermarktet, ein Doppelalbum zur „X-Files“-Serie outete sich kleingedruckt als inspired by, da die hurtig erworbenen Beiträge allerlei Musiker lose von Aliens, Ufos und anderen Zwangsvorstellungen handelten. Jamiroquai hatte gerade Ärger bei seinem Stück für Roland Emmerichs familienfreundliches Tabaluga-Ungeheuer „Godzilla“, da den Filmproduzenten die Textzeile „He’s a killer“ mißfiel. Celine Dion dagegen hat mit „My Heart Will Go On“ alles richtig gemacht und König Camerons Musikdampfer „Titanic“ sicher in die Popcharts manövriert. Der künstlerische Wert solcher Auftragsarbeiten, die den Abspann beschallen dürfen, ist vor lauter Synergie-Effekten kaum zu bemessen. Aber ohne sie wäre von vielen Filmen die score genannte Originalmusik, mit Ausnahmen wie Vangelis Synthesizer-Schwulst zu Ridley Scotts Columbus-Flop, nicht beliebter als früher. Sounds wie von Quincy Jones in „The Getaway“ sind ohne Kino schwerer hörbar als tracks wie viele Melodien von Ennio Morricone, die bereits Pop waren, bevor er und Henry Mancini vom TripHop und fiir die Easy Listener aufbereitet wurden.

Jackie Brown“ versammelt ebenfalls Songs verschiedener Musiker, denen zunächst nur gemeinsam ist, daß viele schwarz sind und meistens in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern wirkten. Auch hier ist es unerheblich, die Songs im einzelnen zu bewerten, und wer diesen Soundtrack nur wegen eines alten Bobby-Womack-Hits oder neuen Foxy-Brown-Songs kauft, wird seinen Spaß haben, aber ein Gesamtkunstwerk verpassen. Denn hat man den Film gesehen, bleibt alles anders. Menschen, die ihn mögen, wird auch der Soundtrack gefallen, selbst wenn sie sonst nie Soul hören. Jedes Stück wird nicht nur ausführlich abgespielt, sie sind auch unverzichtbarer Teil der Handlung, Codes für die Charaktere und Metaphern für alte Bedeutungen. Womacks „Across llOth Street“ etwa, der den Film suggestiv-symbolisch eröffnet, war Titelsong des gleichnamigen Krimis von 1972. „Long Time Wbman“ sang Pam Grier 1971 im Frauenknaststreifen „The Big Dollhaus“, mit dem sie zum Star wurde. Nun erklingt er, wenn sie als Jackie Brown wiederum ins Gefängnis muß, zugleich ist er ein Kommentar zu ihrem Comeback. So wie Tarantino also die Atmosphäre der Blaxploitationfilme mit einzigartigem Eklektizismus in die Gegenwart transformiert, arrangiert er auch die Black Music zu einem Kontext mit neuen Bildern. Selbst „Street Life“ von Randy Crawford aus den Achtzigern wird man nun mit Szenen aus Jackie Brown“ und also den Siebzigern verbinden. „The End“ von den Doors war auch niemals besser als in Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“.

Wie bei „Pulp Fiction“ gibt es zwischen den Stücken wieder Dialoge, eine Parallele zum Film, in dem die Musik nicht nur gehört, auch über sie geredet wird – wie Jackie und der Kautionsmakler Max. „Sie haben die CD-Revolution wohl nicht mitgemacht?“, fragt Max, als sie behutsam eine Platte auflegt. „Nein, ich habe zuviel Geld in meine Sammlung investiert.“ Er bedauert: „Heute gibt’s kaum noch Platten.“ Dann berührt die Nadel das Vinyl: „Didn’t I (Blow Your Mind This Time)“, The Delfonics, 1970. „Das ist schön“, sagt Max. Später geht er in einen Plattenladen, vorbei an den CD-Regalen, während Foxy Brown „(Holy Matrimony) Letter To The Firm“ rappt, und kauft sich eine Musikcasette von den Delfonics. In solchen Momenten kann der Schwätzer Tarantino schweigen, und die Musik spricht Bände. Max wird diesen Song vier weitere Male hören und unbeholfen, aber beschwingt mitsummen. Killing me softly with the sottg in your heart.

Die Songs sind der Score, und viele Szenen funktionieren als Song, bei dem man an gewissen Stellen ein Riff oder einen Break erwartet Tarantinos Filme kann man hören wie eine Platte, die Dialoge taugen zum Hörspiel mit den Bildern im Kopf. Die bleiben beim Hören des Soundtracks – selbst wenn man die Querverweise nicht versteht oder die Musiker vergessen hat. So wie Robert De Niro, der zur Musik der Supremes einer ältlichen Stripperin zuschaut. Später fragt Samuel L. Jackson, ob sie auch Mary Wells imitiert habe. „Ich weiß nicht“, antwortet De Niro. „Ich kenne nicht alle.“ Das ist HipHop.

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