REPLAYS 2 :: von Bernd Matheja
Das ist ein echter Knaller für alle Fans des „europäischen“ Rhythm & Blues: Glatte 33 Jahre nach ihrer LP-Erstausgabe poltert jetzt ein Kontinent-Klassiker hochoffiziell auf den CD-Markt: „Here Are The Boots“ (Telefunken CD 3984-21603/TIS), das in der Tat schon legendäre Debüt der BOOTS! Waren die Rattles und Lords eher auf der Beat-Schiene geblieben, orientierten sich Werner Krabbe 8i Co. an den Stones, Pretty Things, Animals und vor allem an Them. Das Repertoire der Scheibe gibt denn auch bereits die Richtung vor: „Gloria“, „Baby, Please Don’t Go“, „Mama, Keep Your Big Mouth Shut“, „Dimples“ und Stilverwandtes. Keine deutsche Band hatte bis dahin so unbehauenes Material auf Tonträger angeboten, das auch in digital bereinigter Qualität schroff und rüpelig rüberkommt. Compiler Wolfgang Michels hat der Originalscheibe vier Bonbons hinzugefügt: Single-Versionen von „In The Midnight Hour“ (ohne gefälschten Applaus) und „Watch Your Step“ sowie zwei Live-Tracks aus dem „Liverpool Hoop“. Noch besser: In Vorbereitung ist außerdem die zweite Boots-LP „Beat With The Boots“ mit sechs Extranummern (März). Ich ziehe den Hut und 5,0 für eine der überfälligsten Umhebungen auf CD schlechthin.
Gegen Dusty, Sandie, Pet, Cilla, Lulu & Kiki hatte sie keine Chance: GLENDA COLLINS, zeitlebens hitlos und unpopulär geblieben, hat eine der interessantesten Karrieren der englischen Frühsechziger hinter sich. Die Sängerin (geboren 1944) gehörte zum Stall des richtungweisenden Producers und Perfektionisten Joe Meek (der 1967 Selbstmord beging). Er versuchte sechs Jahre lang vergeblich, die Collins bei Publikum und Medien durchzuboxen – mit Nachkriegsschnulzen, angedeutetem UK-Rock’n’Roll, Teenangst-Balladen Marke USA, zaghaften Protestliedlein und Midsixties-Pop – nix! „This Little Girl’s Gone Rockin‘!“ (RPM 182/Contraire) präsentiert das Gesamtwerk der Britin (28 Titel inkl. vier bislang unveröffentlichten), deren elf Singles für Decca, HMV und PYE allesamt floppten. Warum, das ist noch heute ein Rätsel; Tracks wie „I Lost My Heart At The Fairground“, „Thou Shall Not Steal“ oder „It’s Hard To Believe It“ standen denen erfolgreicherer Kolleginnen um nichts nach, waren – durch Meeks klangliche Visionen – oft sogar eindrucksvoller. Hinweis für Sammler: Auf mehreren Stücken wird die Lead-Gitarre von Ritchie Blackmore bedient. Kein Fehler, Glenda mal ein Ohr zu leihen. 3,5
Tusch! Im Jahr 15 nach Einführung der CD ist es nun endlich gelungen, MIKE HARRISON mit seiner gleichnamigen Debüt-LP auf den Kleinteller zu transferieren (Repertoire 7043/IMS). Der Solo-Erstüng des ehemaligen Sängers von Spooky Tooth wurde mitinszeniert von Junkyard Angel, zu denen Harrisons Ex-V.I.P.’s-Mitstreiter Frank Kenyon gehörte. Das Nebelhorn aus Carlisle fuhr 1971 in Schönheit an die Wand: Wer damals zeitgemäßes Progressive-Gegniedel erwartet hatte, lag völlig daneben; Harrison orientierte sich an der verhalteneren Gangart von „Spooky Two“, drosselte das Tempo partiell noch ein wenig mehr, setzte auch auf akustische Gitarren. Die Folge: damals kaum erwünscht, heute (wieder) bestens hörbar. Die zweite LP „Smokestack Lightning“ (bluesiger, amerikanischer) sollte unbedingt nachgeschoben werden – für das Debüt glatte 4,0.
Er gilt als einer der angenehmsten Menschen der gesamten Rock-Szenerie, ist ein absolutes As und hat eigentlich noch nie eine schlechte Arbeit abgeliefert: ALBERT LEE, Gitarrero glorioso und Sideman von Chris Farlowe, den Everly Brothers, Eric Clapton, Emmylou Harris und 1000 anderen. In knapp 35 Jahren ist er nur sporadisch in die erste Reihe vorgetreten, so 1986 mit „JjpeecAless“ (Edsel EDCD 547), einer rein instrumentalen Veranstaltung. Bei der MCA-Erstveröffentlichung bereits ein Ohrenschmaus, hat die digitale Nachbearbeitung jetzt ein klangliches Juwel hervorgebracht. Lee interpretiert Duane Eddy, gibt „da Boogaa“, bewegt sich auf den musikalischen Spuren seiner Sinti-Vorfahren. Alle acht Titel sind Lehrstücke in Sachen Filigranarbeit, durchweg geprägt von Lees unnachahmlich perlendem Stil, der in keiner Sekunde zum vordergründigen Selbstzweck gerät. Wer einmal ohren- und gefühlstechnisch dieser Spielart verfällt, wird sie nicht mehr los. 4,0
Auf „Undiscovered: The Early Years“ (Diamond GEMCD 018) werden Lees Arbeiten mit Bands wie Black Claw und Country Fever wiederaufbereitet. Den Grundstock bildet dabei Material der deutschen Line-CD von 1991, einige Bonus-Tracks aus den Frühsiebzigern wurden hinzugefugt. 3,0
CLIFF BENNETT AND THE REBEL ROUSERS haben Material für ca. fünf randvolle CDs eingespielt. Bislang war jedoch – angesichts der souligen R&B-Qualität der Band unverständlicherweise nur eine popelige Kopplung zu haben,. Die Debüt-LP mit dem Gruppennamen (EMI 8 56576) macht hoffentlich den Anfang einer ganzen Reissue-Serie. Der kraftvolle Shouter und seine qualitativ überdurchschnittlichen Assistenten sind nämlich bis heute chronisch unterbewertet. 3,5
Für die Who war ROGER DALTREY der ideale Frontmann (wie etwa Keith Reif für die Yardbirds) über wirkliche Klasse beider Herren als Sänger darf man geteilter Meinung sein. Zwei pianointensive Solo-Scheiben des Krauskopfes sind jetzt in klangbereinigter Form und mit insgesamt sieben Bonus-Tracks auf CD erhältlich: „Daltrey“ Repertoire REP 4636; 2,5 ) und „One Of The Boys“; 2,0). Gute Autoren (wie Leo Sayer, Russ Ballard, Philipp Goodhand-Tait, Paul McCartney) und Top-Musiker (wie Rod Argent, Jimmy McCulloch, Eric Clapton, Hank Marvin) machen aber noch lange keine überzeugenden Scheiben aus. Zu deutlich fehlt dem als Solist immer glücklos gebliebenen Roger Daltrey eine eigene Handschrift – was Wunder aber auch, er schreibt ja nun mal gar keine Songs, der Arme.