REPLAYS1 :: von Franz Schöler
Oldies auszugraben, die es in dieser Form oder auch überhaupt noch nie auf Platte gab, ist letzthin zum beliebten Spott geworden. Das Box Set der Doors – drei der vier CDs präsentieren vormals gänzlich unveröffentlichte Aufnahmen – ist da nur ein markantes Beispiel. Neben den beiden Original-LPs bietet auch die ZOMBIES-Box „Zombie Heaven“ (Big Beat Zombox 7/contraire-Import) jede Menge Singles, Demos, Studio-Outtakes, Alternativ-Mixes und Live-Mitschnitte, nämlich die ganze randvolle vierte CD lang, „Live On The BBC“. Tom Petty hat natürlich recht, wenn er in seinem Vorwort behauptet: Nachgeborene, die diese Musik jetzt zum erstenmal hören können eigentlich nicht nachvollziehen, welche magische Wirkung sie Mitte der 60er Jahre hatte. Aber, meint Tom, „more than anything the Zombies were and are cool“. Und darum vermittelt dies Set nicht zuletzt auch durch die minuziöse Dokumentation ein sehr eindrucksvolles Bild von dieser Pionier-Band. 4,0
Dennoch gilt möglicherweise noch emphatischer für eine andere Band, die ebenfalls ganze zwei LPs während ihrer kurzen Existenz veröffentlichte – und kürzlich trotzdem mit einem luxuriösen 4-CD-Box Set gewürdigt wurde. „Heart And Soul“ (Motor Music 828 968-2) dokumentiert so ungefähr jede Note, die JOY DIVISION aufnahmen, mit einem Set, das ein endlich in Erfüllung gegangener Traum für alle sein dürfte, die diese Band unverbrüchlich kultisch verehren und als eine der größten wie einflußreichsten in der Geschichte der „alternativen“ Rockmusik in Erinnerung haben. „Heart And Soul“ ist unverblümt selbstverständlich auch ein gewaltiges Stück Hagiographie, das von großen Heiligen und Legenden handelt. Und insofern auch ein Kult-Teil. 4,5
Apropos Kult: Zu den Hollywood-Filmen, die diesen Status schon seit Jahrzehnten innehaben, zählt das Bogart/Bergmann-Melodram „Casablanca“, von dem es seltsamerweise nie ein Soundtrack-Album gab. Und das, obwohl es mit „It Had To Be You“, „Knock On Wood“ und „As Time Goes By“ etliche der berühmtesten Evergreens aller Zeiten zu bieten hatte. Aus Schellack-Azetaten und neuerdings wieder aufgefundenem Archiv-Material konnte nun erstmals ein Soundtrack rekonstruiert und so optimal wie machbar überspielt werden (EMI/-I.R.S. 823502 2). Ähnlich wie letzthin die „Leaving Las Vegas“-CD bietet auch der hier rekonstruierte Soundtrack einige der berühmteren Dialoge des Films. Und dazu – um alle „Casablanca“-Fans restlos glücklich zu machen – als Bonus ein halbes Dutzend für diese Produktion eingespielte Aufnahmen, die dann letztlich doch nicht für den Film verwendet wurden. 4,0
In derselben Rhino-Serie erschienen: der komplettierte Soundtrack zu Antonionis zeitkritischer Allegorie „Zabriskie Point“ (I.R.S. 823-364 2) mit jeweils vier vormals unveröffentlichten Aufnahmen von JERRY GARCIA und PINK FLOYD auf einer zweiten Bonus-CD. Keine musikalische Offenbarung, aber obwohl nur Auftragsarbeiten – für die Fans besagter Musikanten doch von beträchtlichem Reiz und einigem Sammlerwert. 3,5
Raritäten für Sammler bietet ebenfalls der GREEN ON RED-Nachlaß „What Were We Thinking?“ (Indigo 6294-2) – 18 Demos und Live-Mitschnitte aus den Jahren 1980 bis 1987, von denen ein einziger Song („La Vida Muerta“) mal kurzfristig auf einer obskuren Single in limitierter Auflage erschienen war. Etwa die Hälfte dieser Demos hätte man seinerzeit besser für eine offizielle Veröffentlichung fertigproduzieren sollen, bei den übrigen handelt es sich quasi um Skizzen und Entwürfe, die doch noch einiger kompositorischer Anstrengungen bedurft hätten, um auf das erwartete übliche Green On Red-Niveau zu gelangen. 3,5
Noch niemals zuvor veröffentlicht auch: „You Never Can Tell – The BBC Sessions“ von RONNIE LANE und SLIM CHANCE (Pilot II/EFA-Import). Songs wie „Flags & Banners“, „All Or Nothing“, „You’re So Rude“ oder auch „Ooh La La“ wecken wehmütige Erinnerungen an frühere, noch glückliche (Small) Faces-Jahre dieses (Baß-)Gitarristen, der Mitte letzten Jahres dann doch an multipler Sklerose starb. Nach seinem Tod vom selben Label mit einem halben Dutzend Bonus-Tracks wiederveröffentlicht: das Solo-Debüt „Anymore For Anymore“ von 1974 (Pilot 15) sowie erstmals auf CD zu haben „Kuschty Rye – The Singles 1973 – 1980“ (Pilot 19/alle EFA-Importe). Unangemessen bis albern finde ich hier Nachrufe, in denen Ronnie Lane auf Kosten vermeintlich schurkischer Ex-Kollegen (Ron Wood und vor allem Rod Stewart natürlich) heiliggesprochen wird. Etliche seiner größten Aufnahmen hat er nachweislich mit den Faces gemacht! 4,0 / 3,0 /3,5
Gegenüber den meisten der hier genannten Archiv-Ausgrabungen fällt das AC/DC-Box Set „Bonfire“ (Atlantic 7559-62119-2) enttäuschenderweise denn doch beträchtlich ab in puncto Material- und Klangqualität. In exzellentem Remastering gab’s „Back In Black“ (letzte von fünf CDs hier) einzeln schon zuvor. Beim Live-Mitschnitt aus den Atlantic-Studios mußte man teilweise Überspielungen der Promo-LP für die US-DJs verwenden, und den „Let There Be Rock“-Mitschnitt – von sehr bescheidener Aufzeichnungsqualität – für die Wiederveröffentlichung auf zwei CDs hier klangtechnisch zu überarbeiten, hielt man wohl auch für zwecklos. Bleiben die Sammler-Raritäten der vierten CD. Und Kinkerlitzchen wie das beiliegende Piektrum und ein (Bier!) Flaschenöffner mit AC/DC-Logo. Und das war’s auch? Keine Wertung.
Entschieden preiswerter ist da denn doch „The Best 1969-1974“ von DAVID BOWIE (EMI 821849 2) mit der raren Single-B-Seite „Velvet Goldmine“, der 1970er Frühfassung von „The Prettiest Star“ mit Marc Bolan an der Gitarre und dem ebenfalls unveröffentlichten Studio-Outtake von „All The Young Dudes“. Und natürlich allen Klassikern dieser Jahre. Immer noch schön und gut 4,5