GOLDIE – Saturnz Return :: MOTOR MUSIC
Gut, er ist zurück von seiner Reise ins Ich. „Saturnz Return“ ist jedenfalls angemessen als Titel für jemanden, der sich für Gott hält in einem Genre, das sich mit Lichtgeschwindigkeit verbreitet und in Nanosekunden so verändert, daß man ziemlich alt aussieht. Da zählen die zwei Jahre, die er weg war, wie zwei Jahrhunderte. Das beste dieser Platte ist ein Satz von KRS-One, selbst fast schon vergessen: „I bet, they’ll mention me in the next Century.“
„Timeless“ hatte Goldie wohlweislich und wohlfeil sein Debüt betitelt, denn als erstes Drum’n’Bass-Album der Popgeschichte wird es in Erinnerung bleiben. So brachte er eine bis dahin auf Maxis gepreßte Spezialität von DJs aus den Qubs in die Charts. Für die Apologeten dieser Spielart macht ihn das zum bedeutendsten Musikschaffenden unserer Zeit, ja Messias, und jenseits des musiktechnischen Vorganges verklausulierten sie Drum’n’Bass mit einem essayistischen Überbau. Da wird ein gesellschaftspolitischer Kontext gedeutet und diskutiert, ob Drum’n’Bass antirassistisch ist, wird nur Innovation mit Intension gleichgesetzt, pre-millennium tension rausgehört und bei Goldie gar „verwirklichte Utopien“. Oder es wird gefaselt, Drum’n’Bass sei intelligente Musik. Oh je!
Manche haben bereits Roni Size als Thronfolger gewählt. Das schert Goldie wenig. Der arbeitet ohnehin daran, den gesamten Popkosmos zu vereinnahmen, und Drum’n’Bass ist der Katalysator, seine Trägerrakete dorthin. HipHop war bereits reserviert, aber seine Herangehensweise ist dem nicht unähnlich. So paßt es auch, wenn KRS-One im Stück „Digital“ zum fetten, sinistren Drum’n‘-Bass rappt, dies sei „real HipHop“. Bei „Temper Temper“ brettern endlos Schlaufen aus Gitarrenlärm und Rückkopplungen, die Noel Gallagher eingespielt hat. Und für den Bonus-Track „Truth“ seufzt David Bowie einige bittere Zeilen in die Ambient-Atmosphäre. Eine Troika ausgesuchter Ikonen, das Ergebnis aber rechtfertigt sie nicht. Nach den kühl scheppernden Sounds von „I’ll Be There For You“ wird es bei „Crystal Clear“, „Dragonfly“ und „Believe“ ganz kuschelig. Soulstimmen, Jazz, House, Pop, Dub, Keyboardsäuseln und flirrende Poesie mit den Breakbeats als Versmaß. Jedoch auch Allzweckwaffen für Gefühligkeit, eine Komplexität von Beliebigkeiten, als müsse er beweisen, daß er alles könne – mit und ohne Drum’n’Bass. In „Letter Of Fate“ singt er selbst zu getragenen Streichern. Dann: „Mother“, sein Bekenntnis und Herzstück, ein schwülstiges Requiem, das sich aus Rauschen heraus zur 60minütigen Ambition für ein 30köpfiges Orchester aufschwingt Erst nach 22 Minuten setzt zaghaft der erste Beat ein, und siehe: Drum’n’Bass ist elektronische Esoterik, geloopte Räucherstäbchen mit Klassiksurrogat Goldie gebärdet sich wie Mozart, Musik im Kopf, Wahnsinn im Herzen. In Wahrheit ist er natürlich der PuffDaddy des Drum’n’Bass, den er als Mainstream des nächsten Jahrtausends installiert. Daran ist nichts auszusetzen.