45 R.P.M :: VON WOLFGANG DOEBELING
Intelligenz, gepaart mit ruppiger, flapsiger Respektlosigkeit, das war die Stärke von PULP. Dazu ein Schuß Bonhomie, ein Eßlöffel Extravaganz und ein Händchen für Melodien, und voilä: a differetit class. Doch wie lange lassen sich lustige Brillen tragen, bevor sie lächerlich wirken, wie oft kann man sich in Einkaufswagen durch Supermärkte karren lassen, bevor der letzte die Glotze abschaltet? Diese und ähnlich existentielle Fragen müssenjarvis Cocker in den vergangenen 18 Monaten im Quadratschädel herumgespukt haben. Dann zog er ihn, den Schlußstrich unter das Lotterleben. „Help The Aged“ (Mercury) ist Protest-Pop ohne doppelten Boden und ohne jede Ironie. Ein Appell an das Mitgefühl, nicht mehr, nicht weniger. „Helft den Alten!“ heißt die Botschaft, „cause one day you will be older, too/ You might need someone who can pull you through“. John Prines „Hello In There“ klingt an, John Lennons erhobener Zeigefinger und das Piano von „Imagine“, beatleeske Breaks und Klampfen wie bei Country Joe McDonald. Der Flaps hat ausgedient. Das belegen auch die B-Seiten. „Tomorrow Never Lies“ war als Titelsong zum neuen James-Bond-Streifen gedacht, wurde aber abgelehnt, obschon der Text nicht mit Vokabeln wie „danger“ und „nightmare“ spart und die Musik adäquat melodramatisch wogt. Den Zuschlag bekam statt dessen Sheryl Crow, wie man hört. Der dritte Track im Bunde schließlich ist der beste: „Laughing Boy“ hat die innere Spannung einer Costello-Ballade, und die Instrumentation aus Rhythmus-Box, Steel Guitar und jammernden Keyboards ist eigenwillig, aber stimmig. Eine erwachsene, eine mutige Single. Nur: How many roads musta man walk down, before they call him a man? Die Antwort, mein Freund… 3.5
Die TINDERSTICKS kamen neulich ungerupft davon, weil offenbar niemand aufgefallen ist, wie nah ihr „Bathtime“ melodisch im Fahrwasser von „We Gotta Get Out Of This Place“ schwamm, jenem uralten Gassenhauer von Cynthia Weill und Barry Mann, den die Animals zum Gemeinplatz machten. „Rented Rooms“ (This Way Up) ist ebenso brillant wie der Vorgänger, frei von Plagiats-Verdacht diesmal, jedoch als Track der Tindersticks-LP „Curtains“ längst im Besitz des anspruchsvollen Musikliebhabers. Nicht so die B-Seite, eine fulminante Jazz-Variante desselben Songs, arrangiert von John Altman und gespielt von dessen Big Band. Stuart Staples singt den Text über die Willkür der Sinnlichkeit weniger vernuschelt: „We try to drink in bars/ It gets so very hard/ And when the cab-ride ahead seems too long/ We go and fuck in the bathroom“. Der Stand-Baß legt einen Zahn zu. Schweiß perlt von des Sängers Schläfen, das Sax spielt Sex. „Swing Version“ steht lapidar auf dem Sleeve. 4,5
Eine andere famose B-Seite, die eine größere Öffentlichkeit verdient hätte, ist „Lost“, zu finden auf „Roy’s Keen“ (Island) von MORRISSEY. Der ist in England momentan unten durch bei der wetterwendischen Musikpresse. Früher hat er sie doch so gut beherrscht, die Ego-Spielchen, für die man belohnt wird vom „NME“. Jetzt hat er sich einfach abgesetzt und scheißt drauf. Undankbarkeit dieses Kalibers wird mit schlechtem Reviews bestraft, nicht über drei Sternen. Selbst schuld. Dabei ist „Lost“ wunderbar elegisch und süß und besserwisserisch. Morrissey at his best eben. „Everybody’s lost but they’re pretending they’re not“. Nur Dylan maunzt malader. 4,0
Rettung für die tödlich Verwundeten verheißt „New Hope For The Dead“ (Vinyl Japan) von den so formidablen FLAMING STARS, doch dann entpuppt sich die untypisch rabaukige Punkabilly-Proklamation als private Abrechnung zwischen fatal Verliebten. Anfangs ächzt ein Baß, zum Schluß pfeift das Feedback, und dazwischen klingen die ansonsten so auf Coolness bedachten Fläming Stars wie The Fall vor 15 Jahren: ausgefranst und abgedreht, aber energiegeladen und kompromißlos. 4,0