PORTISHEAD :: Motor Music
Sie war plötzlich da, am äußersten Rand der Pop-Galaxis, kälter als der Weltraum und heißer als die Liebe. „We got roads to find“, sang Beth Gibbons, „never find a way.“ Und Portishead, ein Kaff bei Bristol, wurde der wichtigste Ort in der emotionalen Topographie unserer eisigen, glühenden Träume. Ein Ort ohne Ausgang.
Elektronik mit menschlichem Antlitz, das war das Programm von Geoff Barrows – der torch song also und der Sample, Lalo Schifrin und Cyber-Blues, der gute alte Gesang und die fiese neue Technik. Bald kamen Tricky und der TripHop, aber Portishead blieben greller in Erinnerung: Ihr Sound erleuchtete sinister die Fernsehreklame, und jedesmal war es zum Weinen, wenn man die schleppenden Tieftöne hörte, freilich aber kein Raumschiff sah (oder den Mond), sondern bloß ein Auto (oder ein Parfüm).
Auf Portishead mochten sich alle einigen, weil diese Musik noch nie dagewesen war und für jeden etwas abwarf. Nicht postmodern, sondern hypermodern, von gestern und morgen und nirgendwann. Diese flehende, verzerrte, verwehte Stimme, ohne die der Tüftler nur ein „DJ Kicks“ oder irgendein raffiniertes Gewurschtel entworfen hätte, etwas zum Tanzen und vielleicht Denken halt, der ganze technoide Quatsch, der einen bis zu Elvis zurücktreibt oder gleich zur Ruhe. Die Stille ist der eigentliche Ort der Portishead-Gesänge, das weiße Rauschen, das Auge des Orkans. Das Land der letzten Dinge, aber ohne Tröstung. Wenn Beth Gibbons in „All Mine“ alles fordert, dann weiß sie schon, daß sie nichts bekommen wird. Umsonst ist nur der Tod.
Der Blues der weißen Frau. „How can I forget you/ Disregard how I feel/ Silently listen/ To the words I can’t see/ Why should I forgive you?“ heißt es in „Seven Months“ auf „Portishead“: Gibbons klingt wie ein monströses Kind, gedehnt, zersehnt, schrill, bedrohlich. „We suffer every day/ What is it for?/ Only you/ Can tear me apart“: ein Liebeslied. „You can deny how I feel/ And you can decide for me“: ein Song namens „Elysium“, der schwärzeste von allen. Gegenüber dieser Hölle erscheinen Ausgeburten wie Girrrlism als Getue.
An den Songs hat ein Dritter mitgearbeitet, doch entscheidend ist die Fremdheit, die zwischen Gibbons und Barrows herrscht. Die eine versteht nichts von Technik, der andere nichts von Lyrik. Beide jedoch arbeiten derart expressiv und hermetisch, daß eine Symbiose unter Laborbedingungen funktioniert. Das menschliche Antlitz, repräsentiert durch veritable Streicher, Trümmer von Bläsern und einsame Piano-Anschläge, suggeriert einen gemütlichen symphonischen Backdrop. Aber Portishead sind durch und durch synthetisch. Wenn man das Vinyl von „Cowboys“ auflegt, muß man die Geschwindigkeit des Plattenspielers überprüfen, so künstlich klingt es. Da fühlt man sich wie der letzte Mensch (mit Plattenspieler).
Oder wie Gregor Samsa.