Global Village :: von Klein-Josch-Müllrich
Da draußen wälzt sich zwar ein absolut fragwürdiger Sommer durchs Land, aber heute Morgen hob sich die Stimmung merklich: Das obligatorische Päckchen lag auf dem Dorfpostamt. Schnell die Ohrenstöpsel herausgezogen, Nasenklemmen lassen wir drauf, denn gestern haben Millionen tauber Loveparade-Lemminge unseren geliebten „Tiergarten“ bis in alle Ewigkeit zugeschissen. War’n aber suuuper drauf dabei Soll nicht heißen, daß wir deshalb gegen Techno sind, nur gegen von Muzak und Militärmusik beschallte Massenansammlungen. Wollen doch mal sehen, ob der Briefträger Gegengift dabei hatte.
Zuerst erblicken wir das Cover des neuen Werks eines Altmeisters der nubischen Hochzeitsmusik, des oberägyptischen James Brown sozusagen: ALI HASSAN KUBAN. Freundlich lächernd, das unvermeidliche, skurrile (gepardenfellverzierte), klampfenähnliche Gerät unterm Arm; dazu die Pyramiden, die beim Erklingen des ersten Tones wohl unvermeidlich in sich zusammenbröseln werden, im Background. Obwohl der Titel des Albums, „Nubian Magic“ (Blue Flame/ARIS), uns eher die Stirne runzeln läßt, genießt der Meister genügend Vorschußlorbeeren. Wir lassen uns nicht abschrecken.
Und werden wieder einmal nicht enttäuscht Immer noch funktioniert seine unvergleichliche Mixtur ägyptisch-nubischer roots-reggae-sabawusfen-Grooves mitsamt den staubtrockenen Sly-&-The-Family-Bässen und den Otis-Redding-Bläsersätzen. Einmal mehr wird klar, daß Afrika die Urheimat so ziemlich jeden musikalischen Trends ist, wobei die Wurzeln von Alis Musik mehr als 3000 Jahre alt sind. Ziemlich unbeeindruckt von dieser langen Geschichte fühlen wir uns wie auf dem Wüstenschiff mit Ali Hassan Kuban als Bordkapelle. 4,0
Bevor dieses gewagte Bild uns hinfortreibt, sind wir auch schon den Nil hinabgetrieben, mitten hinein ins Gewühle von Kairo. Dort springen SAYED BALAHA und seine „Egyptstars“ an Bord. Übermäßig neu oder gar revolutionär sind weder der Sound noch die Kompositionen. Warum wird Sayed dennoch ins Herz trommelnder Begleiter fast sämtlicher orientalischer Bauchtanz-Divas einziehen? Balaha ist der King des ultimativen Bauchtanzgrooves. Nicht mehr und nicht weniger.
Nachdem der gute Mann sich angeblich in Berlin niedergelassen hat, freuen sich die Klein/Josch/Müllrich auf Tausende kreisender germanischer Frauenunterleiber. Wenn das kein schönes Bild ist „Hamada“ (United One/New Music. 3,0
Fürs erste lassen wir Kairo hinter uns, treiben weiter den Nil hinab, um uns urplötzlich mitten auf einem dunklen Meer wiederzufinden.
Wir befinden uns auf der unwirtlichen Ostsee. In schwerer Dünung tauchen die gefürchteten rot-weiß gestreiften Segel der Langboote mit dem pferdeköpfigen Bug auf. Unsere Kopfhörer bekommen Hörner, als wir „Alles fertig machen zum Entern!“ hören, wissen wir: Es ist zu spät Die Wikinger sind da und hauen uns ihre Kampfgesänge um die Ohren. Thor und Freya, steht uns bei! Odin sei dank sind es nur die Brachial-Trance-Folk-Rocker der schwedischen Gruppe HEDNINGARNA, die wir nicht erst seit ihrem epochalen Album „Trä“ ins Herz geschlossen haben. Ihre neueste CD heißt „HippJokk“ (Westpark/Indigo) – und einmal mehr bedauern wir, daß sich die Wikinger auf dem Cover augenscheinlich gegen schriftliche Kommunikation mit dem Rest der Welt wehren. Es ist nämlich alles auf schwedisch, und so können wir nur verraten: Die beiden finnischen Sängerinnen Tellu und Sanna sind nicht mehr dabei (was der/die eine oder andere ja möglicherweise bedauern mag). Dafür spannt, unbedingt nicht zum Nachteil des Albums, der finnisch-samische Vokal-Akrobat Wimme die Stimmbänder – seit seinem ersten Solo-Album ist er auch bei uns kein ganz Unbekannter mehr. Sein Gesang setzt etlichen der hypnotisch-tranceartigen Kompositionen das Sahnehäubchen auf. 4,5
Nicht unerwähnt sollen die Bemühungen des Frankfurter Labels Network bleiben. Mehr dazu aber erst in der nächsten Kolumne.