Drucksachen :: von Wolfgang Doebeling
Halb Coffeetable-Schwarte und Fotoband, halb Info-Schatulle und akribisches Tagebuch, jedenfalls unerläßlich für den fortgeschrittenen Fan ist GOOD TIMES BAD TIMES -The Definitive Diary Of The Rolling Stones 1960-1969 (Complete Music, ca. 60 Mark) von Terry Rawlings und Keith Badman. Die knappen Day-by-day-Eintragungen vermitteln wohl keine neuen Einsichten, bilden aber in Verbindung mit den zahllosen Presseausrissen, Plakatabbildungen und Paraphernalia ein dichtes Raster, das die tumultarischen Sixties transparenter macht und zugleich in ein aufregend fluk tuierendes Zwielicht taucht. Never a dull moment oder: „The unfolding drama of life within the Stones“ (Bill Wyman). Einziges Manko: kein Index. Vielleicht wird der ja irgendwann noch nachgereicht, denn die letzte Seite verspricht:
to be continued. 4,0
„If you don’t like the Small Faces, you’re getting old“, wird Mick Jagger, der es wissen müßte, in „HAPFY BOYS HAPPY!“ (Sanctuary, ca. 30 Mark) von Uli Twelker und Roland Schmitt zitiert. Wohl wahr und auch heute noch gültig, mehr als ein Vierteljahrhundert nach ihrer Auflösung (ask Noel). Die detaillierte Bandhistorie, in deutscher Sprache bereits vor vier Jahren erschienen (Sonnentanz Verlag), wurde für die englische Ausgabe überarbeitet, erweitert und fürs Auge angehübscht. Ein feines Buch über eine fulminante Band. Hoffentlich konnte sich Ronnie Lane vor seinem traurigen, wenn auch nicht unerwarteten Ableben noch kurz daran erfreuen. Ian MacLagan, der sich schon vor Jahren nach Texas zurückgezogen hat, schreibt, so erfahren wir, ebenfalls an einer Bio, die noch im Herbst erscheinen soll. Mehr darüber, wenn es so weit ist In the meantime, get happy! 3,5
Nicht weniger als ,J)ie Chronik einer Kulturrevolution“ (Untertitel) versucht der ROLLJNG STONE-Redakteur und „New „ibrk Times“-Kritiker Robert Palmer mit „ROCK & ROLL“ (Hannibal, 58 Mark). Eigentlich als Begleitlektüre zur zehnteiligen BBC-TV-Serie „Dancing In The Street“ gedacht, entwickelt das Buch ein erfreuliches Eigenleben, das zwar hier und da kleinere Unkorrektheiten aufweist und auch gern mal ein beliebtes Klischee reitet, wenn Palmer einen Beleg braucht für seine Sicht der Dinge, ein Buch, das letztlich aber einen mehr als nur brauchbaren Überblick bietet und Entwicklungslinien verfolgt und miteinander verknüpft. Ein anspruchsvolles, in groben Zügen gelungenes Unterfangen, dem Palmers evolutionsgläubiges Credo zugrundeliegt: „Das ist das Schöne am Rock’n’Roll. Die Verschleißrate ist zwar hoch und der Lebensstil manchmal tödlich, aber die Überlebenden können in Ruhe weiterhin ihren Stil praktizieren, während die Besten der nächsten Generation das dionysische Erbe antreten und sich um das Hauptanliegen kümmern – um die Befreiung des Publikums durch Ekstase.“ Rhhton. 3,5
Ein Dutzend kunstschaffender Frauen mit mehr oder weniger militanten feministischen Attitüden fanden in Andrea Juno eine verständnisvolle Gesprächspartnerin und in deren JINGRYWO-MEN – Die weibliche Seite der Avantgarde“ (Hannibal, 42 Mark) ein Forum. Haß und Humor erweisen sich in diesen Interviews als ebenbürtige Kontrahenten bei der Bewältigung böser Erfahrungen mit der Männerwelt im Kulturbetrieb, wobei mal ersterer Berater ist, mal letzterer die Oberhand gewinnt. Einige Einlassungen sind souverän (Kathy Acker, Chrissie Hynde), manche plausibel (Lydia Lunch, Joan Jett), manche krass (Annie Sprinkle, Jarboe). Unter der Lupe sind so einnehmende Ideen wie lesbischer Separatismus und öffentliche Menstruation. Hey, sisters are doing itjbr themselves. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was Frauen so alles durchmachen müssen. Miss Sprinkle etwa, diese nette Porno-Performance-Person, weiß da Schreckliches zu berichten. Vbn ihren (geschätzten) 3000 Blowjobs (bei ebenso vielen Mannsbildern selbstredend) waren ungefähr 100 „richtig eklig“, sie mußte „würgen“ und „richtig weinen“. Einmal bekam sie sogar Zahnfleischbluten. Das ist nicht fair. 2,5