Drucksachen :: von Wolfgang Doebeling

Inzwischen umkreist seine Asche ja den Erdball, aber noch vor wenigen Jahren taperte Timothy Leary, äußerlich ein Tattergreis, im Herzen der ewige Rebell, durch Flughafenhallen und andere öffentliche Gebäude, wo das Rauchen bei Strafe untersagt ist, immer auf der Suche nach einem Polizisten oder einem anderen Vertreter der Obrigkeit. Und hatte er einen gefunden, baute sich Leary vor ihm auf und zündete sich eine Zigarette an. Zivilcourage ist ein zu schwaches Wort, Heldenmut eine zu leere Hülse, um militante Insubordination solcher Tragweite adäquat zu würdigen. Power to the people! protestieren die entrechteten Raucher und alle Geknechteten dieser Welt. A la bonheur! ergänzt eine Schar von entsetzten Sportreportern, während sich der arme Tropf abfuhren läßt Ein spätes Stück aus dem Tollhaus, das Timothy Leary sein Leben nannte. Eine wahre Episode, leider, wie seine Flucht ins Lachgas und seine oftmals peinigende Selbstpreisgabe für billige Lacher.

Worüber allzu schnell vergessen wird, daß dieser begnadete Rattenfanger auch ein scharfsinniger Beobachter demographischer, soziologischer und vor allem ideologischer Prozesse und Entgleisungen war und in lichten Momenten eine treffliche Analyse aus dem Hut zu zaubern wußte. Hey, den Ehrentitel „Guru einer Generation“ bekommt man nicht für nada. Wofür denn? Nun,

-CHAOS & CYBER-KULTUR“

(Nachtschatten Verlag, Ed. Rauschkunde, 64 Mark) gibt uns eine Reihe Anhaltspunkte. Der Reader mit einer Vielzahl nicht unbedingt miteinander verknüpfter Beiträge handelt, so Leary, „von einem Neuentwurf des Chaos und vom Gestalten unserer persönlichen Unordnung auf Bildschirmen-.“ Denn: „Wir wissen weder wer, warum, wo, was, oder wann wir sind. Wir furchtbar! Wir sind unwissende, entfremdete Agenten auf einer Mission ohne Anweisungen.“ Eine Anleitung zur Sinnsuche will das Buch freilich nicht sein, eher ein Leitfaden zur Selbsterkenntnis. Dazu führte Freigeist Leary Gespräche mit anderen Amok-Denkern und Spätromantikern. Mit William Gibson (natürlich!) über Frank Herbert, Douglas Adams, Norman Spinrad (Leary: „Hast du ‚Child Of Fortune‘ gelesen?“ – Gibson: „Das war mir zu dick.“). Mit Patentochter Winona Ryder (allerliebst!) über Grateful Dead, Madonna, Axl Rose (Leary: „Spielt er einfach den Idioten oder ist er tatsächlich blöde?“ Ryder: „Ich glaube, er ist wirklich blöde.“). Mit William S. Burroughs (lustig!) und David Byrne (ernst!).

Erhellend ist das nicht immer, doch hat Leary auch Pflöcke eingeschlagen, die für Orientierung sorgen. „Die Evolution der Gegenkulturen“ etwa auf einer Schautafel. Hier findet sich jeder zurecht, sogar ganz ohne die beliebten „Erkenntnis-Chemikalien“ und „Chaos-Drogen“. Am Anfang, so lernen wir, standen die Beatniks (1950-65). Ihre Stimmung war cool und abwartend ihre Haltung sarkastisch bis zynisch. Auf die Beats folgten die Hippies (1965-75), deren Stimmung ausgeflippt und deren Haltung friedlich und idealistisch war. Die nächsthöhere Stufe erklommen dann die Cyberpunks (1975-90), die in düsterer, depressiver Stimmung lebten, von der Haltung her aber zornig und zynisch waren und sich von den Alteren unterbewertet fühlten. Seit 1990 (und bis ins Jahr 2005) sitzt die „Neue Generation“ an den Hebeln der Gegenkultur. Das ist tröstlich, ist ihre Stimmung doch beweglich und fröhlich und ihre Haltung voller Selbstvertrauen. Alles Zitate. Just say „Know“ (Copyright: Tim Leary).

Aberwitzig, aber witzig. Und da wäre ja noch das Kapitel über „die digitale Aktivierung des erotischen Bewußtseins“, das „Zen des Cybervögelns“. Vicki ist im Erregungsmodus, ihre Worte erscheinen auf dem Monitor: „Oh Tim. Ich fühle mich so gebaudet, wenn wir online sind… Du lädst so gut hinunter! Ooooh, du bist so kompatibel – laß uns doch unsere Bildschirm-Inhalte austauschen… Ich liebe deine große, starke Hardwarc.Ich möchte meine Liebesbytes auf dein Keyboard bringen und deinen Joystick in meinen F-Steckplatz…“ Oooh, oje, hier müssen wir, fürchte ich, abbrechen und ganz dringend kalt duschen, sonst- oje, zu spät 2.5

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