HELMET- AFTERTASTE; ROLLINS BAND – COME IN AND BURN :: Interscope/Universal;Geffen/Universal
Eine Frage des Schweißes: Nahezu zehn Jahre ist es her, daß sich Männer wie Henry Rollins oder Page Hamilton des Proll-behafteten „Heavy“ vor dem „Metal“ entledigten und es großzügig durch ein „Open“ oder „Modern“ ersetzten. „Heavy“ ist nur noch die diffuse Assoziation eines Sounds, der auf Spandexhosen und Flying-V-Gitarren verweist – sie tatsächlich aber lächerlich macht. „Metal“ ist geblieben und deklariert sich in zivilisierten Kreisen als musikalische Turn-Einheit bei vollem Einsatz von Kraft, Ausdauer und Männlichkeit. Und leidet nicht unter dem ferlust seiner Selbstreflexion, sondern arbeitet selbstbewußt und frei von Sünde als Pop-Ästhetikum. Ist Sinnverdeutlicher oder -ausdruck, nicht mehr Sinnstifter. Das haben selbst Bands wie Pantera oder Fear Factory verinnerlicht, ganz zu schweigen von der gesamten Crossover-Szene.
Page Hamiltons Heimet und die Henry Rollins Band markieren schon seit langem zwei Extrempositionen innerhalb dieser neuen Art von Metal als Körperdressur. Heimet nutzen ihre musikalische Härte seit nunmehr acht Jahren etwa so wie eine Waschmittelwerbung: Nach dem effektiven Trockenschleudern sieht alles nicht nur sauber aus, sondern rein. Heimet aber sind nicht rein, sondern haben für den Purismus mit mathematischer Präzision gearbeitet Sie kennen den Dreck, aber der unmittelbare Körperkontakt ist verpönt. Eher würde Hamilton dem Punch freundlich die Tür aufhalten und ihn vorüberrauschen lassen, als sich ihm auszusetzen. Der Titel des neuen Helmet-Albums ist ebenso bezeichnend wie der Klang des ersten Songs „Pure“: Lüge und Wahrheit zugleich. Heimet haben jegliche Anstrengung wegästhetisiert und klingen wie die perfekte Heavy-Simulation.
Die Frage bleibt: Gibt es vielleicht doch Momente, in denen Hamilton die Haltung verliert, zum Proleten wird und die Ebene zerebraler Artikulation verläßt? Welchen Geruch hat der Schweiß unter seinen Achseln? Entdeckt man Flecken in seinem Gesicht, wenn er schreit und rockt wie in „Driving Nowhere“?
„Exactly What You Wanted“ knallt einem die Gitarre als Metal-Grimasse um die Ohren, aber Heimet haben ein Alibi, ihnen klebt kein Schmutz unter den Fingernägeln. Die einzelnen Songs bemühen sich um eine stimmige Andersartigkeit, doch wer ehrlich ist, sieht in „Aftertaste“ einen einzigen, steifen Wutausbruch eines schmalbrüstigen College-Jungen. Vielleicht zog es Gitarrist Rob Ecceverria deshalb nach Jahren der Enthaltsamkeit zu den Straßen-Radikalisten von Biohazard – jenen Authentizitäts-Buhlern, die so erfolgreich und voller Stolz auf ihren allmorgendlichen Kater verweisen. Bauch rules, sozusagen.
Und davon besitzt Freund Henry Rollins bekanntermaßen Tonnen. Wie sein eigener Dickdarm windet sich Rollins seit Urzeiten in publiziertem Selbst-Ekel, betreibt mit Sätzen wie „It makes me sick to be so mean“ die LP-Therapie mit unendlicher Serienfolge: „Come In And Burn“ wird in Zukunft wie ein guter Mittelteil im Schaffen dieses Kultur-Apologeten erscheinen. Jeder Satz ein Martyrium, Geste eines Angebots zur Entäußerung, das sich niemand anzunehmen traut.
Denn was tun mit einem Zehnkämpfer, der nur die Rinnsale der eigenen Biographie im Kopf hat, quasi nur die unmittelbar nächste Disziplin zu kennen scheint? „Touch your fear, don’t be afraid“, singt Rollins in „The End Of Something“. Aber zu wem spricht er, wen will er zur Öffnung missionieren? Auf Dauer ermüden seine Litaneien, wird der Kampf um Nichts zur Pose. Die Leidensfähigkeit selbst eines sportlich orientierten Publikums ist endlich. Als wilder Mann mit „Search and destroy“-Tattoo wurde Henry Rollins, der garantiert auf einer ganz harten Matratze oder einem Nagelbett nächtigt, durch alle Zeitschriften gereicht, ein gebildeter Asket und Wutkopf, der seinen eigenen Verlag unterhält und auch gleich die selbstverfaßten Gedichte wegdruckt Der kommerzielle Erfolg hielt sich gleichwohl in engen Grenzen, zur Identifikationsfigur taugt der brikettartige Athlet nur sehr bedingt Und wer liest denn schon noch Bücher, gar Lyrik oder – wie Henry Rollins – die fernösdidien Philosophen (plus Nietzsche, muß man annehmen)? Im Kino ist sein Typ dagegen stets gefragt – in David Lynchs „Lost Highway“ spielt er, was er vermutlich eh am besten beherrscht: einen Wachmann im Gefängnis.
Nun ein Besinnen auf die Musik, die Rollins als Kunst-Träger Nummer zwei benutzt Es kommt sicherlich nicht von ungefähr, daß Rollins vor Jahren einmal „Let There Be Rock“ von AC/DC coverte. Dort lag, von fremder Hand geschrieben, die gesamte Rock-DNA der Rollins Band verborgen. Der rüde Simpel-Metal von AC/DC kam wie die Wort-Auflösung beim „Glücksrad“ daher einfach, aber erhebend.
Der Rock-Metal der Rollins Band ist greifbar und in Blues-Fragen unbestritten. Es herrschen keine Selbstzweifel, kein Hinterfragen von Strukturen oder Konventionen stört den klaren Song-Aufbau. Mittelschneller Metal – mit Gitarren, Drums und Gesang. Die Strophen enthalten die Ruhe vor dem Sturm, und der wütet dann im Refrain. Fast ein nostalgisches Album vom Avantgardisten.