Morphine – Like Swimming
Steigt dieser Blues auf aus dem Getöse der Stadt? Oder dringt er nur aus dem Nebenraum? Wenn man die Musik von Morphine hört, kommen einem schon mal seltsame Fragen in den Sinn. Vom intimen Club-um-die-Ecke-Sound des Trios sollte sich niemand täuschen lassen, vom manchmal satten Bläserklang auch nicht. Der Sänger Mark Sandman versteht keinen Spaß, und es ist kaum denkbar, daß er für den „Blues-Brothers“-Film mehr übrig hat als ein angewidertes Hochziehen der linken Augenbraue. Nur mit Baß, Schlagzeug und einem Bariton-Saxophon machen die Bostoner ihre ganz eigene Musik, die mal so fremd ist wie ein unbekanntes Ritual und mal so kalt wie eine U-Bahn-Haltestelle in der Nacht.
Nur noch an wenigen Stellen hat sie etwas gemein mit jenem Bläserblues, den man aus TV-Werbespots kennt – aber für welches Produkt könnte man mit diesen Songs werben? Für ausgedrückte Zigaretten? Für kaputte Kondome? Für Handschuhe, die sich zum Würgen eignen? „Murder For The Money“ ist der Titel einer der besten Songs dieses Albums. Und auch die anderen Stücke arbeiten sich vor in die dunklen Straßenecken. Manchmal klingen sie wie das Pfeifen im Großstadtwald – dann muß man an den Nachtwanderer MC 900 Ft. Jesus denken, dessen Musik ebenfalls flüsternd ins Finstere führt.
Überhaupt stehen Morphine mit ihrem unterkühlten Kammerblues in der amerikanischen Szene nicht allein da. Der alte, seit langer Zeit erstarrte Blues wird zur Zeit noch von anderen Bands einer Prüfung unterzogen, etwa von G. Love & Special Sauce oder Jon Spencers Blues Explosion. Sie imitieren nicht das sogenannte „Bluesfeeling“, sondern entwickeln ein neues, produktives Verhältnis zur Tradition. Auf einmal klingt die Zwölftaktmusik gar nicht mehr so vertraut und konservativ, sondern neu und überraschend.
Während Jon Spencer den Blues chaotisiert und G. Love ihn zurück in die Garage holt, setzten Morphine aufs Tiefkühlfach: in der Hoffnung, ein kühler Blues möge auch cool sein. Gelungen.