U2 :: Pop :: Mercury
Wie es nah so ist, wenn die läge kürzer werden und die Schatten länger. David Bowie entdeckt die Elektronik, Bono entdeckt die Elektronik, und gemeinsam feiem sie dann Bowies Geburtstag mit Elektronik. Der eine macht nun in Drum’n’Bass (kein hämischer Scherz an dieser Stelle!), der andere in Disco (oder was er sich so darunter vorstellt, nachdem er mal eine Diskothek von innen gesehen hat). Zum Hören wurden neugierige Musikjournalisten (alle U2-Fans!) in schalldichten Castor-Containern untergebracht, dazu gab es Tee und Kekse. Dann zuckte ein Blitz, die Götterdämmerung brach an, und siehe, es ward Bono, es ward Disco. Und wie ist sie nun, die „Pop“ von U2, auf die eine Menschheit gewartet hat?
Sie ist wie erwartet „Discotheque“, der gar nicht unwiderstehliche appetizer, gehört glücklicherweise zum Schlechtesten auf diesem Album. Es klingt, wie es eben klingt, wenn die ungefähr drittfetteste Band des Planeten mal wieder etwas Neues machen will, und wie immer hinken U2 der Zeit ziemlich genau fünf Jahre hinterher. Ein Hinken allerdings, das sich wie Schweinsgalopp anhört. Was wird hier gesägt und gefiept und geblubbert! Mehr Geräusche als auf dem von Brian Eno inspirierten und produzierten Album „The Unforgettable Fire“, dessen lichten Mystizismus U2 nie wieder erreicht haben. Aber mit jeder Wendung bestätigt Herr Bono den einen Satz: Ich werde mich nie verändern. Da helfen die Bartstoppeln nicht und nicht die Büßerfrisur – man erkennt ihn immer, vor allem an seinen Gedanken.
Für den brennenden Dornbusch habe Bono sich zur Zeit von „Joshua Tree“ gehalten, schrieb Wolfgang Hobel, die Pointe ist uns entfallen – jedenfalls brannte ihm die Mütze. Religiöser Eifer! Sie brannte, bis Bono und dem Kollegen The Edge bei „Rattle And Hum“ gar nichts mehr einfiel, bloß noch ein Film und Gemucke mit B. B. King, und danach fiel die Mauer (in den Köpfen), kam ,^4chhmg Baby“, kam der Trabbi und das „Zoo-TV“ und allerlei mythenbildender Quark, ein paar große Rock-Songs, und dann „Zooropa“ und keine Songs mehr, nur noch Collagen, Experimente, Tribute, Zitate, Schnipsel und Verzerrungen. In den Zeiten der Uneigentlichkeit sandten U2 Doppelgänger aus und hantierten mit wackeligen Videobildern, dabei kugelten sie sich, und Bono salbaderte vom „Situationismus“, als spräche Bowie aus seinem Bauch. Pop, schon irgendwie.
Auf „Pop“ ist fast gar kein Pop, denn der alte Sinnsucher und Prädikatsgrübler hat sich nur verschrieben – er meint natürlich „Gott“. Oder auch „Mofo“, ein Song, in dem Bono wie einst John Lennon die Mutter sucht und die Leere: „Looking for the places where no flowers grow.“ Dazu ein kirremachender Computer-Rabbatz. „Do You Feel Wound“ verrät mit der elegisch zerrenden The Edge-Uberschallgitarre, wie wenig U2 sich von dem Ort, wo die Straßen keine Namen haben, entfernten: Als hätten die Pet Shop Boys nochmals einen U2-Song durch ihr Ironie-Reinigungsprogramm geschickt.
Die Ballade kommt an Nummer vier und heißt „If God Will Sent His Angel“, ein schönes Stück, bei dem nur Pavarotti fehlt, der die unsterbliche Zeile „It’s the blind leading the blond“ hätte singen können. Wo sind sie nur, die Gäste? Bowie ist nicht dabei, Springsteen auch nicht, und statt Tricky gibt es nur Howie B. an den Reglern. Auch Noel Gallagher fehlte bei den Aufnahmen, dabei ist „Staring In The Sun“ sehr Pop und beinahe eine Oasis-Hymne. Sogar der Titel ein Gallagher. Dann brechen mit „Last Night On Earth“ und „Gone“ zwei pathetische Kreisch-Rock-Brocken herein, die an hohlem Bombast nicht zu überbieten sind. Schon rührend, wie die vormaligen Kreuzritter sich da aus der Techno-Rüstung schälen. Lyrischer Gipfel des Albums ist die Urlaubserinnerung „Miami“: „Miami My Mammy“, wortspielt Bono da allerliebst, „I bought two new suits“, berichtet er von der Promenade, und „Some places are like your auntie“. Aber doch nicht Miami! Ferien eines Superstars, aber Randy Newmans „Miami“ war bissiger. Und es fiept und tutet und dröhnt. Alarm, Polizei kommt.
War bisher also nicht viel gewesen, naht jetzt die Rettung: „The Playboy Mansion“ birgt richtigen, echten Humor und einen großartigen Kehrreim: „If coke is a mystery/ And Michael Jackson… history_“ Bitte beachten Sie den halben Stern oberhalb dieser Besprechung. „If Your Wear That Velvet Dress“ ist das tränsenselige, katholisch verkitschte Liebeslied (das wir doch eigentlich stets von Bono hören wollen!), und „Wake Up Dead Man“ nochmals – in Gesang und Musik eine Lennon-Paraphrase, vielleicht das schönste Stück dieses Albums. , Jesus, I’m waiting here, boss“, fleht Bono, aber klar, „maybe your hands aren’t free“. Und Papa hat die Erde in sieben Tagen gemacht Solche Sentimentalitäten macht Bono keiner nach. ,Jesus, were you just around the corner?“ Für demnächst geplant: ein Duett mit Nick Cave und Gospelchor.
Zum guten Schluß empfehlen die notorischen Gutmenschen im Booklet: „Join Amnesty International“, „Remember Wei Jingsheng“, „Join Greenpeace“. In jeder Disco schlägt ein Herz! In jedem Playboy steckt ein Katholik! Gleich morgen treten wir bei, gleich morgen. Aber bis dahin hören wir noch ein bißchen Pop. Sagen wir: Blur.