Global Village von Klein-Josch-Müllrich
Wer den Blues singt, muß ihn nicht unbedingt auf einer Baumwollplantage im Mississipi-Delta erwischt haben. Lebendiger Beweis ist Chavela Vargas aus Mexiko. Die Vargas ist Klassenkameradin von Lotte Lenya, Billy Holliday und Cheikha Rimitti. Wer die 77jährige südamerikanische Legende bereits im Museum sah, wird von ihrer vor zwei Jahren in Madrid aufgenommenen CD“ „Chavela Vargas“ (Tropical Music/Aris-BMG) überrascht und eines Besseren belehrt sein. Fans des ungezogenen spanischen Filmregisseurs Pedro Almodovar dürfte die Vargas bereits ein Begriff sein – sie gehört zu seinen Lieblingssängerinnen und ist bei den Soundtracks seiner Filme vertreten. 4,5
Nachdem wir im Morgengrauen – benebelt, schwankend – die von Tequila und Matrosenschweiß geschwängerte mexikanische Hafenspelunke der Vargas verlassen, sehen wir in schwerer Dünung die alte deutsche Underground-Galeere Embryo am sturmgepeitschten Horizont auftauchen. Mit dumpfem Trommelschlag treibt Käpt’n Ahab Burchhard seine Rudersklaven vorran. Nach einem verheerenden Taifun mit Mast- und Rahbruch wurde irgendwo im fernen Osten das preisgünstige Segel einer chinesischen Dau erstanden, Ersoffene durch Piraten und Legionäre aus allen Winkeln der Weltmeere ersetzt – und weiter geht die Reise des fliegenden Deutschländers. Embryo-Fans werden nicht enttäuscht sein. Auch andere dürfen mal reinhören. Für Freunde der christlichen, moslemischen und konfuzianisch-hinduistischen Seefahrt ein unbedingtes Muß: „Ni Hau“ (Schneeball/Indigo). Motto: „“Schön ist es auch anderswo, hier, hier bin ich sowieso.“ (Busch, Willem)
Zurück an Land, noch schwankenden Schrittes, treffen wir an der „Road Of The Gypsies“ (Network/2001) auf die wahren Reisenden. Und sind irgendwie zurück beim Blues. Was soll man sagen? Eine wundervolle, zusätzlich in Wort und Bild ergänzte Anthologie der Musik der Zigeuner tut sich vor Auge und Ohr auf. Sagenhafte 28 Ensembles aus 17 Ländern bieten uns Einblick in die Vielfalt der Roma-Musik. Das alles abseits sonst so beliebter Zigeuner-Swing und Schmalzromantik. Ein Muß für Neugierige. Hätte man einigen Leuten in Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda oder Solingen unter den Gabentisch legen sollen. Aber wahrscheinlich sind die sogar zu dumm, einen CD-Spieler anzuwerfen. Dann kann man ihnen „Road Of The Gypsies“ immer noch um die Löffel hauen. 5,0
Jetzt kommt Boubacar Traore und macht definitiv klar, daß der Blues aus Afrika kommt. Wer Ali Farka Toure (zusammen mit Ry Cooder) mag, wird an dieser CD namens „Kar Kar“ (Label Bleu/Efa) nicht vorübergehen wollen. Ob es beim Titel um die Liebe des Afrikaners zur motorisierten Fortbewegung geht, läßt das beiliegende Info leider offen, aus Sorge um den biologischen Fortbestand der Menschheit wollen wir es jedoch verneinen – die Musik überzeugt auf jeden Fall auch ohne verbale Erklärungen. Man kann bei Boubacar Traore heraushören, daß der Rock der Sixties nicht spurlos an ihm vorübergegangen ist. Aber er interpretiert mit eigener Stimme und eigenen Wurzeln. Willkommen im globalen Dorf-Orchester, Boubacar! 3,5
Schon wieder die Wurzeln des Blues, zum Schluß aber der Chef persönlich: Hamza El Din. Rockbands aus Nubien hauen seit Jahrzehnten ganz Nordafrika von den Socken. Die graue Eminenz im Hintergrund ist Herr El Din. Schon seit den Sechzigern Freund und Mitmusiker von Bob Dylan und Klageweib Joan Baez, erlangte er durch seine Zusammenarbeit mit Mickey Hart (Grateful Dead) neue Popularität. Auf diesem neuesten Album mit dem schlichten Titel „Available Sound Darius“ (Lotus/TIS) demonstriert der Meister seine handwerkliche und kompositorische Meisterschaft auf der arabischen Oud, nur begleitet von einer Trommel, der nubischen Tar. Ach so, ja, singen tut Hamza El Din natürlich auch noch ganz hervorragend. 4,0