Roots von Jörg Feyer
Jeder Zwei-Spalten-Kolumnist kennt das Dilemma: Mehr schreiben? Mehr Platten? Da in dieser Sparte pro Heft locker 15 Alben um die Plätze drängeln, wird hier verstärkt die zweite Variante zum Zuge kommen. In der Hoffnung, daß auch in der gebotenen Kürze Detail-Würze nicht zu kurz kommt…
Seine Ambition, der Blues-Wiege in Chicago auch ein Baby namens Trio-Jazz beizupacken, führt WILLIAM CLARKE auf „The Hard Way“ (Alligator/Edel Contraire) sogar ins Repertoire eines Miles Davis („Walkin'“). Konkurrenzlos gut hat das „Mississippi Saxophone“ (Spitzname) mit dem fett-übersteuerten Harp-Sound das kernig swingende Programm im Griff. Starke Pflicht, Bestnoten in der Kür: Nennen wir’s „Add-Blues“? 4,5
Nicht mehr ganz taufrisch, aber ähnlich essentiell: JAMES COTTON und „Deep In The Blues“ (Verve/Motor). Die intime All-Acoustics-Produktion verkauft die illustren Mitstreiter Joe Louis Walker und Charlie Haden nicht unter Wert, ohne Cotton den Atem zu nehmen. Wehmütig registriert man den Verfall der heiseren Stimme. Doch sein ebenso subtiles wie drängendes Mundharmonika-Spiel scheint Zeit und Raum zu transzendieren. 4,0
Der jüngere Kollege CHRIS SMITH legt zwar Wert auf das Attribut „Hammer“, geht auf „Livin´On My Own“ (Hermans/TIS) aber gewiß nicht platt ans undogmatisch unterhaltende Westcoast-Werk, das den Bogen von Hendrix- bis Bach(!)-Referenz schlägt. 3,0
„Midnight in Memphis“ (!Zensor/Indigo): Zur Geisterstunde versöhnt PRESTON SHANNON das Vocal-Eros des Soul mit der Gitarren-Trauer des Blues. Altmeister Willie Mitchell hielt als Produzent und Songlieferant Händchen. 3,5
„Honky Tonkin’s What I Do Best“ (MCA/ARIS) hat MARTY „Party“ STUART richtig erkannt, ohne daraus immer die richtigen Konsequenzen zu ziehen. So bleibt die Klasse von „This One Gonna Hurt You“(1992) weiter unerreicht. Ein Höhepunkt in unmittelbarem Wortsinn: die feuchte Blues-Fantasie „The Mississippi Mudcat and Sister Sheryl Crow“ mit der netten Zeile „I was driving siow, meditatin‘ on Sheryl Crow…“ 3,0
Teils Engtanzfeten-kompatibel sowie generell für Party-Zwecke geeignet ist „The Big Squeeze“ (Alligator/Edel) von Zydeco-Erbe C.J. CHENIER. Lästige Fragen nach dem zigsten „Don’t You Just Know It“-Cover gehen da locker im Two-Step-Tumult unter. Ha-ha-ha-ha? 3,0 (Party-Wertung!)
Würde Aretha Franklin ein Bluegrass-Album machen, müßte es ungefähr so klingen wie „The Harvest“ (Demon/Edel Contraire) von KATHY CHIAVOLA, die auch bei ihrer Song-Auswahl den Blick gern über die Genre-Tradition hinausschweifen läßt. Gäste: Bill Monroe, Emmylou Harris und Vince Gill. 4,0
Die ewigen Elvis-Costello-Vergleiche – so berechtigt/peinlich sie in der Vergangenheit waren – sollten JOHN WESLEY HARDING mit seinem fünften Album „New Deal“ (Line/Da Music) endgültig erspart bleiben. Wozu nicht zuletzt eine konsequent-warme Akustik-Produktion (Chris von Sneidern) beiträgt, die die romantisch-frozzelnden Songs des UK-Wahlkaliforniers sanft umfangt. 3,5
„Five Miles Front Hope“ (Demon/Edel Contraire) wähnt sich derweil MINDY JOSTYN, die der Elegie britisch inspirierten Folk-Rocks mit amerikanischem Temperament und der rechten Portion Personality beikommt. Zur Belohnung gastieren Carly Simon (im Duett), Donald Fagen (!) und Garth Hudson. 3,0
Wer der frühen Suzanne Vega nachtrauert, könnte in der „Butterfly Zone“ (Demon/Edel Contraire) von LILLIE PALMER Trost finden. Clevere Texte, eine volle, vielseitige Produktion (Jeffrey Lesser), aber auf Dauer doch auch anämisch und klinisch. Zu clever: Songs mit Fußnoten. 2,5