Norma Waterson – Norma Waterson
Norma Waterson, unbeugsame Verweserin albionischen Liedguts, hat ein Album aufgenommen, ihr erstes Solo-Werk zudem, mit zeitgenössischen Songs. Die Frau mit der markantesten Stimme und strengsten Folk-Moral goes Pop. Würde Porter Wagoner Reggae-Nummern singen oder John Lee Hooker in Easy Listening machen, die Verwunderung wäre nicht großen Der Gang von Yorkshire nach Los Angeles, wo das Album entstand, muß hart für Norma Waterson gewesen sein, nicht weil sie sich hätte verbiegen müssen, sondern weil sie lernen mußte, ihren inneren Rhythmus auszuschalten und sich auf einen durchgängigen Beat einzulassen. Ihre in über drei Jahrzehnten gewachsenen Phrasierungskünste, die dem englischen Folk-Revival mehr als nur ein Glanzlicht aufgesetzt hatten, waren plötzlich nicht mehr gefragt. Ein Umstieg von Soccer auf American Football wäre ähnlich radikal, und Norma Waterson, um im Bild zu bleiben, beschränkt sich keineswegs auf die profanen Aufgaben eines Kickers, der mal eben für einen extra point antrabt.
Sie unterzog sich einem umfassenden Lernprozeß, der sich hörbar gelohnt hat. Die Intonation ist rund und flüssig und hat nur noch wenig gemein mit der spröden, nasalen, Finger-am-Ohr-Ästhetik der Watersons. Es gibt von deren erdigem und zugleich entrücktem Traditionalismus ja keinen Pfad zur Modernität, außer natürlich den des Folk-Rock. Der ist bloß gut 20 Jahre nicht mehr oder nur von Leichtgewichten benutzt worden und deshalb längst wieder zugewachsen. Nein, mit Folk-Rock hat diese Platte nichts zu tun, höchstens insofern, als Norma Watersons Stimme in das vergleichsweise rigide Stützkorsett einer Rock-Spielweise eingebettet ist. Diese Spieler freilich sind die besten, von Danny Thompson am Baß bis zu Richard Thompson (no relation) an der elektrischen Gitarre. Daneben brillieren, wen wundert’s, Normas Gatte Martin Carthy und ihre gemeinsame Tochter Eliza. Die first family of folk in LA; eine fürwahr abenteuerliche Unternehmung, die Risiken birgt.
Und so ist nicht alles so gelungen wie das ungeahnt intensive „Black Muddy River“ aus der Feder von Jerry Garcia und Robert Hunter oder Elvis Costellos Moll-jazziges Kunstlied „The Birds Will Still Be Singing“. Für Richard Thompsons unsentimentales „God Loves A Drunk“ hätte man sich mehr Verruchtheit im Ausdruck gewünscht und mehr Härte, und Fred Fishers „There Ain’t No Sweet Man“ könnte just so auf einer Maria-Muldaur-LP auftauchen, hätte dann aber den nötigen Swing. „Norma Waterson“ ist also kein völlig ungetrübtes Vergnügen, aber ein Vergnügen allemal und ein unerwartetes dazu, etwa wie Costellos Exkursion in die Kammermusik. Die Puristen wird’s ordentlich verdrießen, doch ist es für den Rest von uns ein Gewinn, daß sich eine der großen Sängerinnen dieser Welt in fortgeschrittenem Alter noch einmal auf Neues einläßt und das mit Haut und Haaren.
Mit Halbheiten würde sich auch Normas Schwester Lal Waterson niemals abgeben. Immerhin 25 Jahre ist es her, seit sie mit „Bright Phoebus“, damals im Gespann mit Bruder Mike, zuletzt für Furore in der Folk-Welt sorgte. Zum Sidekick für ihre Songsammlung „Once In A Bitte Moon“ hat sie ihren Sohn Oliver Knight erkoren, dessen Gitarre die manische Melancholie der Songs bald unterlegt, bald überhöht. Dunkle Ahnungen und geheimnisvolle Visionen ziehen sich durch die Lyrik, versteckt und verwoben, und offen für allerlei Gespinste und Interpretationen. Zu gleichen Teilen ländlicher Intuition und Rimbaudscher Inspiration entsprungen, sind diese Texte weniger nebulös als schamanenhaft, weniger endgültig als endzeitlich.
Knight weiß diese Stimmungen zu befördern, gerät aber zuweilen ins Abseits, etwa wenn er zur Fuzzbox greift oder Mike Oldfield belehnt. Solche stilistischen Fehlgriffe sind indes selten und vermögen die Substanz der Songs nicht zu schädigen. Am Ende gibt es mit dem unbegleiteten „Some Old Salty“ fast noch ein Revival vom Revival, wenn Lal und Norma Waterson und ein mehrstimmiger Chor den Geist der gern und zu Recht vielverklärten Watersons beschwören. Erhebend.