Lyle Lovett – The Road To Ensenada
Wie sagte Neil Young mal so schön über seinen scheinbar unmotivierten Stil-Zick-Zack der 80er-Jahre? Erst wenn man die Erwartungshaltung des Publikums „vom Tisch gefegt“ habe, könne man wieder „eine richtige Platte“ machen. Anders als Young, plagte Lyle Lovett wohl nie ein blockierter Gefühlshaushalt, der die vorübergehende Flucht in Formalismen nahelegte. Doch die Demontage von bequemen Zuschreibungen kann ihm nach seinen Liaisons mit einigen Gestirnen des Filmgeschäfts nicht fremd sein.
Jetzt ist Julia gegangen, im neuen Robert-Altman-Film „Kansas City“ ist der freundliche Texaner auch nicht vertreten (dafür demnächst in Anjelica Houstons Regie-Debüt!), und Lovetts perfekteste Rolle ist auch nicht die des bösen, bösen Bäckers (auch wenn er da verdammt perfekt war), sondern immer noch die des Songwriters: Music, please!
Lyle Lovett füllt sie deshalb so perfekt aus, weil er noch stets die Wende aus drohenden Stil-Sackgassen schaffte. Als der üppige Large Band-Eklektizismus ausgereizt war, experimentierte er auf Joshua Judges Ruth“ und auch noch auf dem letzten Album „I Love Everybody“ mit musikalischer Reduktion und hintersinniger Abstraktion. „The Road To Ensenada“ orientiert sich nun eher wieder am Frühwerk und wird vor allem jene erfreuen, die zuletzt
in seinem Werk die von ihm doch so meisterlich beherrschte Disziplin des tongue-in-check-Country-Songs vermißten: So unverschämt romantisch und traurig klang Lovett schon lange nicht mehr. So direkt auch nicht.
Songs wie „Don’t Touch My Hat“, wohl auch ein Seitenhieb aufs hat act business a la Nashville, „Who Loves You Better“ und „I Can’t Love You Anymore“ stehen ganz in der Tradition früher Lovett-Klassiker wie „God Will“ und „If I Were The Man You Wanted“. Kein Zufall sicherlich auch, daß er mit „Long Tall Texan“ (im Original von 1963 ein Hit für einen gewissen Murry Kellum) jetzt jenen Song aufnahm, den er – damals in der zweiten Klasse beim ersten öffentlichen Auftritt sang. Daß Randy Newman bei dieser Neuauflage den Duett-Part gibt, dokumentiert höchst vergnüglich eine schon lange gehegte Wahlverwandtschaft.
„The Road To Ensenada“ wäre aber kein echtes Lyle-Lovett-Album, würde es nicht auch wieder den Außenseiter zum Thema machen. „Perhaps I’m the fool she takes me for“, zweifelt der Sänger in „Christmas Morning“ an sich und der stummen Schönheit im Laden um die Ecke, die immer nur einen schönen Tag wünscht, aber ihren Namen nicht preisgeben mag. Und schiebt noch ein leises „not anything more“ hinterher, als könne er das immer noch nicht ganz glauben. Die Frage nach der Autobiographie schien bei Lovett immer überflüssiger als ohnehin schon. Zu offensichtlich war er bisher bemüht, sich selbst aus seinen Songs herauszuhalten. Daran darf man nun, da Bitterkeit und stille Verzweiflung so greifbar werden, schon ein paar Zweifel hegen. „Promises“, sein hier nicht schlechter plazierter Beitrag zum „Dead Man Walking“-Soundtrack, bleibt fast stehen vor Fassungslosigkeit „Wörter sind wie Gift“, konzediert Lovett gebrochen, und: „Some things you do, you just don’t widerstand“.
Im swingend-ironischen Kontrastprogramm nimmt Lyle Lovett dann seine unaffektierte, ganz in Alltäglichkeit fußende Heimatliebe in Schutz gegen das übliche „Texas is bigger than the sky!“-Gebratze unangenehmerer Landsleute: „That’s Right (You’re Not From Texas)“ „but Texas wants you anyway“, singt Lovett.
So ergeht es einem auch mit seinen Liedern: Sie würden einen wohl selbst dann noch erwischen, wenn man vom Mars käme – mal ganz kalt, mal schön warm. Zeilen wie „She made me think so fast, I leave my thoughts behind“ (aus dem filmreifen Rollenspiel „Her First Mistake“) sind eben außerirdisch gut.