Replays 2 von Bernd Matheja
Endlich – eine Pub-Rock-Kopplung! Die Prä-Punk-Jahre von 1972 bis 75 waren die dunkelsten des U.K.-Rock: Bombast, Glitter-Tand, Pop-Schrott, Szene tot. Die US-Band Eggs Over Easy legte den Grundstein für den Down-to-earth/back-to-basics-Rock in den Kneipen: Gigs zu ebener Erde zwischen Zapfhahn und Notausgang. Handwerk, stilistische Bandbreite und gute Kompositionen waren wieder gefragt. Die Doppel-CD „NAUGHTY RHYTHMS – THE BEST OF PUB ROCK“ (EMI Premier 837968-2) ist Pionierarbeit. Am Prädikat „Meilenstein“ schrammt sie dennoch vorbei. 22 Gruppen sind mit 36 Titeln vertreten – top, aber nur auf den ersten Blick. Brinsley Schwarz, Ducks Deluxe, Bees Make Honey, Eggs Over Easy, Dr. Feelgood, Chilli Willi, Kursaal Flyers, Ace, Roogalator – die Klassiker sind ebenso vertreten wie die „zweite Reihe“ (Winkies, Charlie & The Wide Boys) und die Gruppen an der Schwelle zum Punk (lOlers, Count Bishops, Hot Rods). Unerklärlich aber – und ganz einfach schlecht ist das Fehlen der Reggae-Fraktion (Greyhound, G.T. Moore), der Soul-Crew Gonzalez, der Cajun-Fraktion (Brewers Droop) und weiterer Kräfte wie Plummet Airlines, Clancey oder Moon. Und daß Pub-Urvater Mickey Jupp (Legende) im opulenten Booklet nicht einmal erwähnt wird, verdient einen Hieb mit dem Guinness-Krug. 23 Minuten ungenutzte Spielfläche und das Streichen von Mehrfach-Tracks einiger Bands hätten für Abhilfe sorgen können. 3,5
Daß GARRY FARR in den Mittsechzigern als U. K.-Folkie und R&B-Sänger seine Karriere begonnen hat, wird auf seiner zweiten Solo-LP von 1970 nur allzu deutlich. „Stange Fruit“(Sony483672/SMIS) ist ein wahres Singer/Songwriter-Juwel. Von der Stimme her eine Kreuzung aus Jackie Lomax und Tim Buckley, akustische und halbelektrische Eigenbauten glänzend variiert, von Mighty Baby und Richard Thompson exzellent assistiert – ohne Zweifel. 4,5
Gab es je eine „bessere unbekannteste Rock-Band der Welt“ als STRETCH? Nö. Die drei Studio-Scheiben (Repertoire/TIS 4087, 4200,4522) sind Beleg genug dafür. Und jetzt: live im Studio, in der Reihe mit BBC/John Peel Sessions als „Can’tjudge A Book“ (Strange Fruit SFRCD 140) ans Licht gebracht. Zehn Tracks aus dem bekannten Programm der Kapelle werden eingeleitet durch den bislang unveröffentlichten Titel-Song, dessen (Aufnahme-) Qualität einem die Ohren wegreißt – eine Meisterleistung auch des Produzenten Tony Wilson. Er hat das komplette Material nach dem Reinheitsgebot inszeniert. Shouter Eimer Gantry & Co. waren neben den Stones wohl tatsächlich „England’s finest“ in Sachen R-O-C-K. Daß der Hit „Why Did You Do It“ fehlt, stört nicht die Bohne. Für die Trivial-Abteilung: Eimer und Gitarrist Kirby arbeiten heute als Drogen-Therapeuten. Hier holen sie noch mal gesunde 4,0 ab.
Eines der mysteriösesten Projekte der „swinging sixties“ war bis jetzt die TEENAGE OPERA des deutschen Komponisten/Produzenten Mark Wirtz und „seines“ Sängers Keith West. Nach zwei Hits: Abbruch des Projekts, Gerüchte satt, Wirtz abgetaucht Das RPM-Label hat gegraben – und gefunden. In Kooperation mit dem semi-obskuren Schöpfer wurde das Gesamtwerk rekonstruiert, zu dem auch Titel von Tomorrow, Kippington Lodge, Sweetshop und Zion de Gallier gehören. Musikalisch tief im Blümchen-Pop verwurzelt, ist „A Teenage Opera“(RPM 165/Contraire) erstmals in voller Länge zu hören. Nicht weltbewegend, aber okay, und eine pophistorische Spitzenarbeit allemal (grandiose Booklet-Infos, 3,0 ).
Weitere Wirtz-Werke sind in Vorbereitung als Re-Issues.
Endlich in einem Groß-Vertrieb gelandet ist das Green Tree Label. Fans der Spätsechziger/ Frühsiebziger-Bands finden hier Schätze, die (wenn überhaupt) bislang nur auf dem grauen CD-Markt erhältlich waren. Über TIS sind damit Progressiv-Raritäten wie “ The Power Of The Picts“ von WRITING ON THE WALL (GTR 001), „Restless Night“ von OCTOPUS (GTR 037), „Green Eyed God“ von STEEL MILL (GTR 023), „Arc At This“ von ARC (GTR 022), „Breathe Awhile“ von ARCADIUM (GTR 002) sowie die gleichnamigen Scheiben von AND-ROMEDA (GTR 024) und GINHOUSE (GTR 012) zu bekommen. Fast immer mit Bonus-Tracks, durchweg Beispiele dafür, daß schwere Orgeln, Drum-Soli und Gitarren-Exzesse jene Zeit prägten. Alle: 3,5
CHRIS FARLOWEs Solo-Ausstoß der Siebziger ist bisher nicht auf CD im Handel („Live“ und „Front Here Tb Mama Rosa“). Bis es hoffentlich mal soweit ist, hilft „BBC In Concert“(Windfall WEMCD 081) weiter: acht Titel von 1976, u. a. mit Simon Phillips (dr) und Phil Palmer (g) eingespielt, zeigen den Noten-Würger in Bestform. Sahneklecks obendrauf: vier unveröffentlichte Studio-Aufnahmen von 1970, darunter Traffics „Medicated Goo“ sowie zwei Jerry-Ragavoy-Produktionen. Gute Ware, die für 3,5 weggeht.
Drei Hits (mit dem CD-Titelsong „Where Are You Now, My Love“, 1965 eine No. 1) waren offenbar nicht genug, um JACKIE TRENT in eine Erfolgsliga mit Sandie, Dusty, Kiki und all den anderen Teen-Queens zu hieven. Die Sängerin (und Co-Autorin der männlichen Hit-Fabrik Tony Hatch) wird jetzt mit Vol. 1 einer Reihe gewürdigt, die das Single-Material der Engländerin recycelt Unter der RPM-Katalognummer 161 gibt es den ersten 30er-Hieb (2,5 ), wie immer mit reichhaltigen Hintergrund-Texten versehen. Leichter Unterhaltungs-Pop, stets solide, aber ohne die ganz ohrenbetörenden Eigenschaften.
Eine Zeitreise ins Germanien der frühen Siebziger bietet eine CD-Box des Duos WITTHÜSER & WEST-RUPP (ZYX OHRCD 001-2): Sie versammelt die Werke “ Trips und Träume“ (Drogenhalluzinationen) „Der Jesuspiiz“ (Evangelium und Drogenhalluzinationen) und „Bauer Plath“ (Landwirtschaft und Drogenhalluzinationen). Wenn die Außerirdischen landen, werden sie anhand dieser Musik des Wesen des deutschen Hippies ergründen: „Nimm doch einen Joint, mein Freund.“