I Shot Andy Warhol
Im nächsten Jahr wird der Meister der Reproduktion zehn Jahre tot sein – aber die Beweihräucherung braucht gar nicht mühsam angekurbelt zu werden. In den Museen ist Andy Warhol in dieser Zeit ebenso gleichmäßig präsent geblieben wie an der Oberfläche des medialen Lebens: Tributes und Retrospektiven, Porträts und Referenzen jagen sich gegenseitig. Daß seine Sentenzen zu allgemeingültigen Formeln unserer Zivilisation geworden sind, belegt unter anderem ein Blick in die selbstbewußten Gesichter von Hans Meisers Gästen. Sie sind ins TV-Studio gekommen, um sich die 15 Minuten Ruhm abzuholen, die Warhol ihnen versprochen hatte.
Und was hat das alles, heute noch, mit Musik zu tun? Der Film „I Shot Andy Warhol“ erzählt die Geschichte der Radikal-Feministin Valerie Solanas, der es 1968 beinahe gelungen wäre, das Leben des Künstlers auszupusten. Heute gilt sie als Randfigur in einer ansonsten blut-und schweißlosen Geschichte. Auch der Soundtrack zum Film ist kein Groß-Kommentar zu Warhol, sondern eine Sammlung von Referenzen, die oft mehr mit dem Zeitgeist der 60er Jahre zu tun haben als mit dessen Werk im engeren Sinn. Was aber immerhin eine zu starke Fixierung auf die Velvet Underground verhindert hat.
Das Flair, die Klänge, der Geist der späten 60er Jahre: alles reproduziert in sauberen musikalischen Siebdrucken. R.E.M. covern die Troggs, Wilco covern Buffalo Springfield, Luna covern Donovan. Alles Hippie-Musik! War Warhols Factory nicht eine Stätte des Anti-Hippietums? Anscheinend sieht man das heute nicht mehr so eng. Mit The Lovin‘ Spoonful, Love und MC5 sind sogar drei Ur-Hippie-Bands mit alten Hits vertreten. Nur die wenigen Originalbeiträge beziehen sich präzise auf das musikalische Erbe der Factory: Pavement arbeiten sich mit „Sensitive Euro Man“ an „European Son“ ab, Yo La Tengo treten sogar im Film als Velvet Underground auf und imitieren mit „Demons“ den Nico-dominierten Stil von solchen Stücken wie „Sunday Morning“.
Die eigentliche Filmmusik hat John Cale komponiert. Seine „I Shot Andy Warhol Suite“ mag ganz gut zu dem Film passen. Wenn dazu Bilder zu sehen sind, fallt vielleicht die Kunsthandwerklichkeit nicht auf, mit der Cale sich ja schon seit einiger Zeit an „E-Musik“ versucht Dieses kleine Streicher-Stück klingt wie schlechter Michael Nyman. Wie wäre es statt dessen mal wieder mit einem guten John Cale?