Drucksachen von Wolfgang Doebeling
Die hehre Kunst des Media-Hype erstreckt sich längst auch auf Back-Kataloge. Die generalstabsmäßige Vermarktung der ollen Fab-Four-Kamellen setzt diesbezüglich neue Maßstäbe, doch auch in Sachen Hendrix gibt es kein Halten mehr. Henry „Bizeps“ Rollins rührt naiv die Werbetrommel auf MTV, und der blanke Unsinn vom „Mozart des 20. Jahrhunderts“ macht erfolgreich die Runde. Der gerichtsnotorische Zwist zwischen Jimis Flammen Kathy Etchingham und Monika Dannemann sowie der Suizid letzterer Lady vor wenigen Wochen dürfte den Hendrix-Mythos erneut auflodern lassen. Als Blasebalg für dieses ewige Feuer taugt auch „VOODOO CHILD: THE ILLUSTRATED LEGEND OF JIMI HINDRIX“ (Penguin, ca. 60 Mark) von Martin I. Green und Bill Sienkiewicz. In Comic-Manier werden Fakten mit Fantasie angereichert, immer hübsch verquast und höchst spekulativ. Und vor tiefpupernem Hintergrund. Purple haze indeed. Interessant immerhin die beigelegte CD mit unfertigen, zumeist bluesigen Heim-Demos des Maestro. 2,5
Ungleich substantieller ist „JIMI HENDRIK: THE COMPLETE STUDIO RCCORDING SESSIONS 1963-197O“ (Little, Brown & Co., ca. 40 Mark) von John Mc-Dermott. Als begleitende Lektüre zu dessen vor vier Jahre erschienener Hendrix-Bio „Setting The Record Straight“ gedacht, covert das Buch sämtliche Studio-Exkursionen des Fretboard-Magiers von seinen Anfängen als Sidekick für Little Richard bis zum bitteren Ende. McDermott stützt sich dabei auf die Mitarbeit von Billy Cox und Eddie Kramer, deren intime Kenntnisse über Hintergründe und Verlauf vieler Sessions Hendrix den Anstrich eines manischen Perfektionistengeben. 4,0
Das wildbewegte Leben des so berühmten wie berüchtigten Proto-Promoters Bill Graham liegt jetzt auch in deutscher Übersetzung vor: „BILL GRAHAM PRESENTS“ (Zweitausendeins, 39 Mark) verfolgt skizzenhaft den Werdegang des jüdischen Berliner Jungen Wolfgang Grajonza zum gefeierten und umstrittenen Rock-Impresario. Autor Robert Greenfield hat nicht nur jahrelang bis zu dessen Tod mit Graham konferiert, sondern läßt auf den 800 Seiten seines Werkes auch mehr als hundert Zeitzeugen zu Wort kommen, von Robbie Robertson über Keith Richards bis zu Bob Geldof. Stets erhellend, strekkenweise faszinierend. 4,0
Der Britpop-Boom verhilft auch fast vergessenen Vorbildern zu ungeahnten Ehren: „SMALL FACES: THE YOUNG MODS‘ FORGOTTEN STORY“ (Arid Jazz, ca. 45 Mark) von Paulo Hewitt wäre ohne den tätigen Zuspruch von dessen altem Kumpel Paul Weller und den nimmermüden Reverenzen von Oasis, Blur und Konsorten sicher kein solcher Seiler. Din-A-4 und farbig, für Fans und Modernisten, truly excellent. 4,0
Länger schon und eine Stufe höher als die Small Faces sitzen die Kinks im Pantheon des Britpop und die Querelen zwischen den Brüdern Davies liefern eine Art Blaupause für den brüderlichen Zwist der Gallaghers. Sibling rivalry a go go. Und als ob es dafür noch eines schlagenden Beweises bedurft hätte, legt Dave Davies mit „KINK“ (Boxtree, ca. 40 Mark) eine Autobiographie vor, die jene des älteren, begabteren Ray an etlichen Stellen widerlegt. „Kink“ ist nicht so flüssig geschrieben wie „X-Ray“, die Erinnerungen des Bruders, jedoch offener, ehrlicher und ungeschützter. Der Biedermann als Brandstifter, familienintern. Schockierend ist das freilich nicht, auch nicht Daves homophile Abenteuer, die kein Coming out sind, weil sie vom arglos Gestrauchelten am Ende mit dem überraschenden Geständnis gekontert werden: Ich bin nicht schwul. Na fein. 4,0
Vergleichbare Innenansichten hat THE KINKS: WELL RESPECTED MEN – (Castle, ca. 25 Mark) von Neville Märten und Jeffrey Hudson nicht zu bieten, dafür aber eine mehr als brauchbare Übersicht über die Geschicke der Gruppe aus der Sicht des Fans, nicht des Followers: dedicated, jedoch keineswegs unkritisch. 3,5