Everything But The Girl – Walking Wounded
Seit dem Jazz-Revival der 80er Jahre ist viel Wasser die Themse heruntergeflossen. Tracey Thorn und Ben Watt hatten ein paar Jahre zu überstehen, in denen sich kein Schwein für dezente jazzige Popmusik interessiert hat Wer denkt heute noch an Working Week? Oder an Matt Bianco? Das In-Out-Spiel hat in Jazz-Pop-Kreisen besondere Verwüstungen angerichtet: Wenn man eine Musik, die eigentlich alt ist, zum neuen Ding erklärt, ist die Halbwertzeit für Hipness sehr kurz. Sogar der gestern noch von allen gepriesene Galliano scheint heute vergessen zu sein. Man müßte mal einen Hilfsfond gründen für all die Acid-Pop-Revival-Jazz-Musiker, die vom einen auf den anderen Tag keiner mehr hören wollte.
Das Duo Everything But The Girl hat vielleicht auch deswegen überlebt, weil man sich zu zweit schneller bewegen kann. Thorn und Watt haben es sich nicht in ihrem Kuscheljazz-Separee gemütlich gemacht, sondern um eine für beide vertretbare Modernität gerungen. 1995 war Todd Terrys House-Remix ihrer Single „Missing“ ein Hit in ganz Europa – damit waren sie angekommen in den 90er Jahren. Auch Tracey Thorns Gastauftritt auf dem Massive Attack-Album „Protection“ half ihnen, an die technische und musikalische Entwicklung anzuschließen.
Nun stehen sie endgültig auf neuen Füßen. Sie haben ihr gesamtes rhythmisches Fundament erneuert Noch immer singt Tracey Thorn mit warmer, melancholischer Stimme ihre meist resignierten Ich-und-Du-Texte. Ihre Melodien haben sich kaum geändert, sie liebt wie eh und je die Wiederholung einzelner Phrasen, bis sich der Sinn der Worte im Gefühlsdunst verliert. Der Jazz-Besen allerdings wurde dem Museum übergeben.
Unter Traceys Stimme schlägt jetzt der Maschinentakt. Watt holte sich Hilfe vom Drumcomputer-Spezialisten Spring Heel Jack und ließ Beats aller zeitgenössischen Richtungen laufen: House, Jungle, Trip-Hop. In einigen Stücken läßt der Computer die Sängerin weit hinter sich und verliert sich im Widerhall der eigenen Schläge. Everything But The Girl go Portishead. Durch die „kalten“ Patterns wird der Musik einiges von ihrer früheren Schläfrigkeit genommen – und neue Spannung kommt auf: „Walking Wounded“ ist die interessanteste Platte, die diese Band seit langer Zeit gemacht hat.