Morrissey

Southpaw Grammar

Rca Int. (Sony Music)

Schon das epische Intro zum ersten Track verwirrt und zwingt gleichwohl zum Zuhören: eine dunkle Orchestration, manischmonoton, signalisiert Paranoia. Klirrende, klobige Gitarrenakkorde vermitteln Angst und Pein. Welcome to the real world: „The Teachers Are Afraid Of The Pupils“ heißt der Song, und der Morrissey-Fan staunt nicht schlecht.

Gewiß, „The Headmaster Ritual“ war kein fahrlässig-bildungsfeindliches Agitprop-Stück wie etwa „The Wall“, doch waren die Sympathien ähnlich klar verteilt, und an der Opfer/Täter-Relation kamen nie Zweifel auf. Und nun dies: Pädagogen auf verlorenem Posten. „If you think they are listening“, weiß Morrissey über die Schülerbrut, „you got to be joking.“ Dann kammermusikalische Momente, ein paar perkussive Scharmützel, und der Lehrer findet sich fatalistisch ins Unvermeidliche: „To be finished would be a relief.“ Über elf Minuten dauert der dramatische Diskurs, unterlegt von kühnen, weit geschwungenen Melodiebögen.

Musikalisch kaum weniger ambitioniert umgesetzt, greifen auch die anderen Songs auf typische Morrissey-Themen zurück. Hatte der Vielverkannte in „Panic“ noch „Hang The DJ!“ postuliert, geht es diesmal in „Reader Meet Author“ der schreibenden Zunft an den Kragen, die so tut, als wisse sie um das Elend der Mühseligen und Beladenen, ohne jemals Tuchfühlung aufgenommen zu haben.

Das Erwachsenwerden, hat Morrissey einmal geklagt, sei ein Vorhof zur Hölle. Und die hat ihn nun wohl, mit 36 Jahren keinen Tag zu früh, verschlungen. Bei aller Wunderlichkeit seiner Weltsicht heißt das: mehr Ambivalenz, weniger Dogmatik. Nachdenklicher ist er geworden, unser Mozzer, abwägender. Seine Musik andererseits strenger und stringenter. Der sanft schimmernde Pop-Sound von „Viva Hate“ bis „Vauxhall & I“ ist einem Gitarrenlärm gewichen, der definitiv mehr rockt als rollt: „Southpaw Grammar“ ist, Schreck laß nach, ein Rock-Album. Nicht wild, nicht rotzig, überhaupt nicht exaltiert, aber ausreichend straight und traditionell, um auch von Stone Roses-Fans verstanden zu werden.

Zum Rockisten taugt Morrissey freilich nicht, anders als Paul Weller, der im Zuge des Erwachsenwerdens gleich die gesamte Rockmusik der 70er Jahre absorbiert zu haben scheint. Morrisseys musikalische Bezüge sind subtiler, wenngleich ebenfalls oft dubios. Mal wabern die Gitarren verdächtig floydianisch, dann schrauben sie sich sogar spiralig in dünne Wishbone Ash-Sphären oder kommen verzerrt daher wie beim ollen Zappa.

Doch keine Angst: Steve Lillywhites probate Produktion und die Fingerfertigkeit von Alain Whyte und Boz Boorer dulden nur vage Zitate und vermeiden so jeden Anflug von Peinlichkeit. Auch Morrisseys Gesang, geradliniger und nicht mehr so manieriert, trägt viel bei zur neuen musikalischen Solidität Seine bekannte Faszination für Gewalt und seine noch ausgeprägtere Abscheu davor zeitigen hier einige der besten Songs seit den seligen Tagen der Smiths, ihrerseits immerhin die wichtigste Band der 80er Jahre. Irgendwann wird es wohl eine Smiths-Reunion geben, doch dürfte die wie fast alle Reunions hinter den Erwartungen zurückbleiben. Macht nichts, wir haben ja Morrissey.