Tim Burton-Ed Wood :: Ab 13. Juli „
Seine blonde Frauenperücke ist verrutscht. Die Männer in der dunklen Bar blicken nur kurz auf, als er einen Whisky bestellt. Hysterisch war Ed Wood (Johnny Depp) aus dem schäbigen Studio gestürmt, in dem er seinen Science-fiction-Film „Plan Nine From Outer Space“ dreht. Die Geldgeber wollen ihn, den Regisseur, im weißen Angora-Pullover nicht als Darsteller akzeptieren. Dann sieht er Orson Welles (Vincent D’Onofrio) in einer Ecke sitzen. Wood spricht ihn an. Welles erklärt, er bemühe sich um Geld für seinen Krimi „Touch Of Evil“. Als Wood von den Problemen mit seinen Produzenten erzählt, lächelt Welles milde und antwortet: „Von mir verlangen sie, daß ich Charlton Heston als Mexikaner besetze.“
Wood und Welles sind sich nie begegnet. In Tim Burtons Hommage „Ed Wood“ aber erklärt die Anekdote dieser zwei Antipoden Woods Schicksal und Sehnsucht Die Brüder Harry und Michael Medved kürten ihn 1980 in ihrer fiesen Film-Fibel „The Golden Turkey Awards“ zum „schlechtesten Regisseur aller Zeiten“. Zudem gewann sein „Plan Nine From Outer Space“ in der Kategorie „schlechtester Film aller Zeiten“. Dagegen gilt Welles‘ „Touch Of Evil“, tatsächlich mit Charlton Heston in der Rolle des Mexikaners, als Meisterstück. Der von Hollywood verfemte Visionär gilt vielen als Genie. Da er oft pleite war, türmte er sogar Filmrollen als Kulissen auf. Mit jener Hingabe und gegen ähnliche Hindernisse improvisierte auch Edward Davis Wood Jr. seine Ideen. Für eine Handvoll Dollar, die er einem Fleischgroßhändler oder Baptisten abschwatzte, drehte er in Garagen mit Papptellern als Ufos und Gartenstühlen im Cockpit. Allein der magic touch fehlte Wood. Burton und die Drehbuchautoren Scott Alexander und Larry Karaszewski wagen mit ihrer Szene somit eine cineastische Charakterisierung: Wood ist Welles‘ gescheiterter Geistesbruder. Beide waren Außenseiter, sie kannten keine Grenzen, opferten alles auf dem Altar des Kinos.
Wood war ein Stümper, seine Filme waren Schrott, und Burtons „Ed Wood“ ist ein Porträt von der liebenswerten Lächerlichkeit der Leidenschaft. Er zeigt die Biographie eines Träumers, der als Platzanweiser, Requisiteur und Stuntman jobbte; eines Narren, der vernarrt war in die Illusionen des Kinos und sich in der Illusion verlor, selbst Kino machen zu können; eines Transvestiten, der Frauen liebte, die Kleider seiner Frauen und Frauen, die seine Filme finanzierten oder sein stetes Scheitern ertrugen. Wood hatte keine Angst, weil seine Euphorie größer war. Seine einzige Sorge: „Orson Welles war 26 Jahre alt, als er ,Citizen Kane‘ drehte, und ich bin schon 30.“
Hätte Wood nicht für das Kino gelebt, der sentimentale Skurrilitätensammler Burton erfände ihn für das Kino. Johnny Depp, der bereits als „Edward mit den Scherenhänden“ rührte, spielt diesen Phantasten mit der Unschuld eines Kindes. „It’s perfect“, ruft er nach jeder Drehszene. Wood sah die Schwächen seiner Filme nicht Als er sich bei dem fetten Billig-Produzenten Weiss (Mike Starr) vorstellt, der einen Film nach dem Skandal um die transsexuelle Christine Jorgensen drehen will, macht der dem schwärmerischen Bittsteller klar: „I make crap – no motion pictures.“ Wood versteht den Sarkasmus nicht. „Ich bin qualifiziert, weil ich mich selbst gern als Frau kleide“, prostituiert er sich. Und Depp sieht nicht nur in Damenwäsche sexy aus. Er ähnelt Orson Welles, Errol Flynn, Clark Gable. Burtons Wood ist ein Abbild von Holly-Wood – und wie Woody Aliens „Zelig“ ein tragikomisches Chamäleon.
Niemals aber zeigt Burton ihn als Clown. In jeder Sequenz sind seine Sympathie und Seelenverwandschaft mit Wood zu spüren. Burton begann mit dem Animations-Kurzfilm „Vincent“, wofür sein Jugend-Idol Vincent Price den Part des Erzählers übernahm. In „Edward mit den Scherenhänden“ spielte Price seine letzte Rolle. Ed Wood verehrte Bela Lugosi, den ersten „Dracula“-Darsteller von 1931. Jenen trifft er zufällig, als Lugosi (Martin Landau) im Schaufenster eines Bestattungs-Institutes einen Sarg ausprobiert. Der Greis, vergessen und verbittert, verhöhnt Wood, der sich als Fan einschmeichelt. Lugosi läßt sich aber im Auto mitnehmen und von Woods Wunschdenken anstecken, dieser könne ihm zum Comeback verhelfen. Mit Lugosi als Star dreht Wood für Weiss seinen ersten Film: „Glen Or Glenda“, zwei Episoden über Geschlechtsumwandlungen, ein schauriges Stückwerk aus Schnipseln und dilettantischen Dialogen. Lugosi soll Gott mimen und knurrt sinnlose Orakel Ein Desaster.
Es gibt viele solcher desolater Momente in „Ed Wood“. Lugosi, morphiumsüchtig und sterbenskrank, braucht Geld genauso wie Fürsorge. Die Einsamkeit schmerzt ihn mehr als die elendige Odyssee mit Wood. Für seinen Gruselstreifen „Bend Of The Monster“ nötigt Wood ihn, nachts in einem sumpfigen Teich mit einer Kraken-Attrappe zu ringen, die sie aus einem Requisitenlager geklaut haben. „Ok, let’s shoot this fucker“, flucht Lugosi. Die Aufnahme wirkt würdelos, aber Woods Augen glänzen mal wieder. Diese Freundschaft ist ein Verzweiflungspakt – beide ermöglichen sich erst miteinander. Kurz vor Lugosis Tod nahm Wood den ausgemergelten Ungarn privat vor dessen Haus auf. Lugosi pflückt eine Blume, riecht an ihr, läßt sie fallen, wendet sich stumm ab. Um diese melancholische Minute herum hat Wood dann seinen „Plan Nine From Outer Space“ gedreht, mit dem Chiropraktiker seiner Darstellerin Vampira als Double, der sich ein schwarzes Cape vor das Gesicht hält. Besessenheit kennt keine Scham.
Die Schauspieler in „Ed Wood“ auch nicht. Martin Landau, der für seine Rolle als Lugosi den Oscar erhielt, besteht mit granteliger Grandezza und gebrochener Gestik jede Peinlichkeit Ebenso glänzen die Nebendarsteller, Woods Freunde und Filmteam zugleich: seine Freundin, das blonde Starlet Dolores Füller (Sarah Jessica Parker); der glatzköpfige, sonst ganzkörperbehaarte Wrestler Tor Johnson (George „The Animal“ Steele); der schmierige Schickeria-Hellseher Criswell (Jeffrey Jones); und Bill Murray als tuntiger Dandy Bunny Breckinridge. Hölzern, affektiert, manchmal teilnahmslos agieren sie als Panoptikum der Freaks wie in einem Ed-Wood-Film.
Folglich hat Tim Burton sich als Regisseur auf Ed Wood eingelassen und dessen Unfähigkeiten konsequent weitergedacht. Sein Film im Film ist schwarzweiß, statisch und zuweilen spröde. Mit schlichten Kameraschwenks und Schattenspielen wiederum interpretiert Burton, was Wood wohl wollte. Woods Werke blieben Kopfgeburten, verkrüppelte Visionen, ein Legoland auf Zelluloid. Ihn störten herumliegende Kissen im Bild nicht, da der Film in seiner Phantasie ablief. Burton versteht Woods misfit menagerie nicht als Schund, sondern als ein seltsames Kino-Kaleidoskop. Wood war kein Prophet, sein Geist jedoch der des Punk. Darum endet Burton mit einer verklärten Note an Woods Optimismus statt in dessen Sexfilm-Schlußphase der 70er Jahre.
Burtons B-Movie-Märchen huldigt allen Woods dieser Welt: Jim Jarmusch etwa, Sam Raimis kauzigem Horror „Tanz der Teufel“, Andy Warhols chaotischen Schwulen-Kurzfilmen, dem lakonischen Aki Kaurismäki, Russ Meyer und seinen „Supervixen“. Wood, der mit seinen Filmen niemals einen Cent verdient hat, wird nun auf Video verlegt Es ist kein Kunststück, Künstler zum Kult zu erheben, und das gilt bei einem Budget von 18 Millionen Dollar auch für „Ed Wood“. Burtons Großartigkeit sind aber die Kleinigkeiten, die bewußte Reduktion und Theatralik, eine erschütternde Komik in der Tragik. Wir sollten Ed Wood nicht auslachen. Vielleicht lacht – vor allem in Deutschland – sowieso keiner.
Tim Burton kann nur an der Kinokasse scheitern. Wie Wood. Orson Welles würde sie trösten: Sein „Touch Of Evil“ wurde nicht einmal in einem Premierenkino gezeigt.