Country von Jörg Feyer
Es gibt Vorurteile, die sind einfach zu schön, als daß sie je von der Wirklichkeit widerlegt werden könnten. Gleich zwei MERLE HAGGARD-Tribute-Alben konkurrieren derzeit um die Gunst geneigter Käuferinnen. Und welches zieht den kürzeren? Das mit dem üblichen Star-Aufgebot in Nashville inszenierte natürlich. Was nicht heißen soll, daß „Mama’s Hungry Eyes“ (Arista 18760-2/Aris) bei aller slickness nicht erhebende Momente hätte. Vince Gill etwa singt „The Farmer’s Daughter“ ganz wunderbar, Randy Travis hat überzeugend den Blues, Emmylou drückt im Titelsong brauchbar auf die Tränendrüse. Ergibt knapp 3,0
Ein glattes Sternchen mehr können wir für „Tulare Dust“ (Hightone HCD 8058/Semaphore) verantworten. Neben der schlüssigeren Songauswahl besticht diese weiter westwärts von Tom Russel/Dave Alvin betreute Verbeugung auch durch eine Künstler-Liste (Iris Dement, Billy Joe Shaver, Lucinda Williams), die nicht nur naheliegende Ergebnisse zutage befördert. Bei nur einer Überschneidung können Interessenten mit entsprechender Brieftasche guten Gewissens in beide Alben investieren. So kommt ein imposanter 28-Song-Reigen zusammen, der Haggards zweifelhaftes Redneck-Image aufweichen und ihn endgültig als einen der treffsichersten Alltagschronisten eines schwindenden Blue Collar-America etablieren sollte. Man höre nur Barrence Whitfields Version von „Irma Jackson“ auf „Tulare Dust“.
Dem zynischen Impuls, daß manche Mauern lieber nicht fallen sollten, ist man geneigt zu folgen, wenn „Without Walls“ (Sony 474800-2) von TAMMY WYNETTE überstanden ist In einem superfeuchten crossorer dream schlunzt sich die offenbar auf ewige Jugend pochende Pailetten-Lady durch Duette mit Elton John, Sting, Cliff Richard. Da können auch Lyle Lovett („If You Were To Wake Up“) und Wynonna („Girl Thang“) höchstens noch ein halbes Sternchen retten. 1,5
Dann schon lieber TRISHA YEARWOOD, die auch auf „Thinking About You“(MCA/MCD 1120l) mit Bravour die Hillary Clinton des ach so „neuen“ Nashville gibt: zwei kleine Schritte vor, einer zurück. Mit der Autorität einer großen Stimme, die sich Understatement leisten kann, kratzt Yearwood auch schon mal an den Rändern der Country-Konvention. Aber eine k.d. lang, der sie gesanglich durchaus Paroli bieten kann, wird sie wohl doch nie werden. Muß sie ja auch nicht, wenn Songs wie „XXX’s And OOO’s“ wie sichere Hits klingen. 3,0
Einen komprimierten Einblick in die Karriere des wohl größten Vokal-Stilisten des Genres ermöglicht „Cup Of Loneliness – The Classic Mercury Years“ (522 279-2). Auch wenn das Honky-Tonk-lastige 48-Titel-Repertoire dieses Doppel-Albums grösseren Schwankungen unterworfen ist und GEORGE JONES Ende der 50er Jahre noch nicht alle Geheimnisse seiner Stimme ergründet hatte – es reicht bei historischer Aufnahme-Qualität für die eine oder andere Gänsehaut. 3,5
Nach einem wenig erbaulichen Versuch, als Solo-Künstler aktuellen Nashville-Standards zu entsprechen, hat JASON Ringenberg wieder seine SCORCHERS im Original-Line-Up zusammengetrommelt, um auf „A Blazing Grace“ (Mammoth MR0101-2/RTD) apokalyptische Kuh-Rocker und traurig-weise tearjerker zu verheiraten. Das gelingt nicht ganz so umwerfend wie vor zehn Jahren (remember den „Cow-Punk“-Hype?), ist aber heute vielleicht ähnlich notwendig. 3,0
Der Erfolg von „Thinkin‘ Problem“ dürfte die Plattenfirma RCA Nashville veranlaßt haben, im Archiv nach den Bändern von DAVID BALL respektive „David Ball“ (RCA 66463-2/Aris) zu fahnden. Mag das Western-Swing-Repertoire auch einige Schwächen aufweisen als crooner aber beweist der Priestersohn aus South Carolina seine Klasse in dieser schönschmucklosen Produktion allemal. 3,5