Steinbruch

IM ZEICHEN DES ARM-BEIN-MANN Fritten & Bier

WEA.

Der Jugendliche Nils Bokelberg hampelt als Video-Jockey bei „Viva“ und durfte deshalb eine Platte aufnehmen, die vielen anderen Jugendlichen und manchen Erziehungsberechtigten als „Kult“ gelten wird. Wer sich mit billiger Ironie und Gratiswitz über Prolls lustig macht, ist selbst einer. „Mundgeruch“, „Bier am Fuß“, „Abgestandenes Bier“ cool, Mann. Geht Bokelberg, 17 Jahre alt, eigentlich noch zur Schule?

BULK Jack Logan TRS 89261-2.

Unten in Winder, Georgia, arbeitet ein Mann in der Autowerkstatt. Er kann gut Autos reparieren. Was seine Kollegen nicht wissen: Jack Logan kann auch Gitarre spielen und Songs schreiben. Er kann singen, daß einem das Herz bricht Er kennt Blues und Folk und Bluegrass und Rock und vieles dazwischen.

Seit 1979 hat Logan ungefähr 700 Songs geschrieben. Er hat mit Howe Gelb gespielt und mit Vic Chesnutt. Die beiden sind jetzt sehr beliebt in Europa, und Logan ist 38 und sehr unbekannt in Georgia. „Bulk“ enthält sein Lebenswerk in 42 Songs, oft schlecht produziert und nicht immer zwingend. Das Doppel-Album ist wie eine Flasche Jack Daniel’s, wenn niemand zum Reden vorbeikommt. Es ist wie eine alte Jacke, die man nie mehr ablegen möchte. Es ist wie die Erinnerung an etwas, das man niemals hatte.

Manchmal denkt Jack Logan daran, wie es mit schönem Auto, schönem Haus und schöner Freundin wäre. „Would I be happy then?/ I went so long without it/ Would I be happy then?/ I might, but then I doubt it.“

Das Glück ist eine Dame ohne Gnade Jack.

DUMMY

Portishead Metronome 828 553- 2.

I have heard the mermaid singing. Sie lebt in Portishead bei Bristol in England, heißt Beth Gibbons und liebt den Jazz. Ihr Freund Geoff Barrow ist 22 und arbeitete schon als 16jähriger an Samples.

In Portishead beginnt nun die Zukunft, denn Beth und Geoff haben ihr erstes Album veröffentlicht. „Dummy“ wird am Ende des Jahres die Bedeutung haben, die Björks „Debüt“ im letzten Jahr hatte. „Dummy“ ist ein hybrides Konstrukt aus House, Techno, Ambient und Jazz: Das zu schreiben und an der Musik zu scheitern ist eins. Es gibt viele Worte für die Atmosphäre, die Portishead evozieren, viele Klischees und viele Floskeln. Filmmusik, Jazz-Klassiker, Maschinen-Ästhetik, Weltraumklänge, Walgesänge – Geoff Barrow fuhrt alles zusammen, verbindet, synthetisiert. Beth Gibbons‘ entrückter Singsang, dem Wahnsinn nahe, euphorisiert und macht zugleich ganz, ganz traurig. Space-Blues.

Am Ende von Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“ stirbt der Computer HAL, während er immer brüchiger Kinderlieder singt. So ist „Dummy“.

AMERICAN THIGHS Veruca Salt

RTD 157 1897 2.

Muß ganz schön aufregend sein in Wicker Park, seit ein „Spiegel“-Investigationsreporter in dem Boheme-Viertel unterhalb der Sozialhilfe-Grenze herum schnüffelte. Niemand erinnert sich an seinen Namen, aber er war da. Und beförderte hermeneutisch den Mythos von der „Chicago-Szene“. Der nächste Hype!

Nina Gordon und Louise Post, Gründerinnen von Veruca Salt, glauben kein Wort, nehmen aber Vorteile. Die Million, mit der sie angeblich „von einer großen Plattenfirma“ gelockt wurden, gab es zwar nicht, doch ein lukrativer Vertrag ist schon besiegelt. Dabei ist „American Thighs“ so durchschaubar, lieb und nett, dazu offenkundig in der Nachfolge der auch nicht originellen Breeders angesiedelt, daß nur Gier die Dringlichkeit weiterer Anstrengungen erklären kann.

Veruca Salt spielen abgeklärten, knuffigen Gitarren-Pop, nur unwesentlich wilder als die Bangles in heftigen Momenten. Die Texte haben Gordon und Post aus ihrer Studentenzeit hinüber gerettet: Befindlichkeitspoesie, kleine Fluchten, Nachdenken über dies und das. Singen auch niedlich, die beiden. Wenn sie bei der Industrie angekommen sind, wird die Aufregung schon vorbei sein.

CRANK

Hoodoo Gurus IRS 990 352.

Noch eine Band, die den Grunge schon hatte, bevor es ihn gab. Die Hoodoo Gurus, zu Hause in Australien, musizieren seit zehn Jahren ohne nennenswerte Resonanz. „Crank“ ist ein mäßig inspiriertes Album mit ordentlichen Melodien und knarzigen Gitarren. Besser als Midnight Oil. Aber selbst das ist ja eine Beleidigung.

ONE LAST LAUGH IN THE PLACE OF HING

The God Machine Metronome 523 658-2.

Ein Memento mori: Als die Arbeit an „One Last Laugh In The Place Of Dying“ abgeschlossen war, starb der Bassist Jimmy Fernandez an einem Gehirnschlag. Die Todessymbolik überschattete schon die Songs von „Scenes From The Second Storey“, dem Debüt von The God Machine. Joy Division und The Cure sind die Bezüge dieser sonst beispiellosen Band von Amerikanern, die seit-einigen Jahren ärmlich in London leben.

Ausladende, epische Soundscapes, jähe Ausbrüche, Verharren und Insistieren, Redundanz: „I wish I could fly/ I wish I could die/ Again and again“, schreit Robin Proper-Sheppard, der expressive Texte voll rohem Schmerz schreibt, ohne die Pein sublimieren zu können. „You said life could be painless/ And I’m sorry, but that’s not what I found.“ Sheppard und Schlagzeuger Ronald Austin wollen weitermachen, aber nicht als The God Machine. Ein groteskes Lachen im Angesicht des Todes.

FILE UNDER: EAST LISTENING

Sugar Sony 477 565.

Bob Mould gehört zu den wenigen Musikern, von denen wir dachten, sie könnten nichts falsch machen. Und wirklich: Die Geschäfte gehen gut. Moulds professionelle Strategie bürgt für die ihm entsprechende Anerkennung und Sicherheit als elder statesman der amerikanischen Rock-Avantgarde.

Nur Avantgarde ist er nicht mehr. Auf „File Under: Easy Listening“ dominieren hymnische Pop-Melodien, und Moulds einzigartig geschlossenes Gitarrenspiel erzeugt hier – wie oft im Konzert – einen Überdruck zu Lasten der Songs. „You can’t hurt me anymore“: Dieser Gestus bestimmte schon „Copper Blue“ und „Beaster“. Doch nach der Katharsis mit Haßkappe hat der Wutkopf nun Frieden mit seinen Dämonen geschlossen. Hier saugt nicht mehr der Mahlstrom von „The Slim“, summen nicht mehr die Moskitos von „A Good Idea“. Eher erwürgt sich jemand fröhlich mit den eigenen Händen. Bassist Dave Barbe darf sogar einen erschütternd harmlosen Song über das böse „Company Book“ beitragen.

Natürlich ist Bob Mould die späte Harmonie zu gönnen. Es war ein weiter Weg von „Too Far Down“ über „Poison Years“ zu “ Your Favorite Thing“.

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