Live-Das weiße Rauschen

Sie waren gerade 20 Jahre alt, und sie hätten die beste Band der Welt werden können. Vor zwei Jahren verblüfften Live aus York, Pennsylvania, mit ihrem ebenso ergreifenden wie abgeklärten Debüt-Album „MentalJewelry“. Zu hymnischen Melodien durchlitt Sänger Edward Kowalczyk manische Poesiealbumlyrik.

Manchen Kritiker irritierte die erstaunliche Verträglichkeit von Schmerz und Schmalz, Betroffenheit und Gelassenheit. Denn in den Gesichtern dieses Quartetts lagen noch die Weichheit und Blässe von Knaben, aber in ihren Liedern steckte die Reife aus drei Jahrzehnten Popkultur.

Ed Kowalczyk sieht nicht aus, als habe er schon mal guten Sex gehabt. Bis auf einen kurzen Zopf ist sein Kopf kahl geschoren. Er könnte Buddhist sein oder Student oder beides. Nichts davon hat Kowalczyk im Sinn. Sein Wandel von der Jungenmelancholie zur asketischen Attitüde des Weltschmerzes berührt zwei Slogans: Grunge und Generation X. „Nicht alles ist Depression und Verwirrung. So wie Nirvana bei aller Düsternis auch etwas Erhebendes hatten.“

An diesem Punkt musizieren Live weiter. Auf ihrem neuen Album „Throwing Copper“ spielen sie geschlossener und entschlossener. Nur schlagen sie die Gitarren jetzt heftiger an und haben den gesamten Rock-Kosmos der jüngsten Zeit begriffen. Kowalczyk leugnet weder seinen Hang zum Einerlei noch seine Einflüsse. „Ich liebe den Gigantismus von U2 und schätze an R.E.M. die Fähigkeit, sich dem Mainstream zu entziehen.“

In „White Discussion“ haken Live das Panik-Phänomen der Political Correctness ab. „Es geht um die Bedeutungslosigkeit dessen, was wir tun und reden“, erklärt Kowalczyk. „Zwei Menschen diskutieren, während die Welt untergeht. Der ganze Lärm wird zum Inferno und löst sich in weißem Rauschen auf. “ Der Song „Stage“ hätte auch von Kurt Cobain stammen können. Kowalczyk singt allerdings zu lärmenden Schönklang: „I wanna feel, I wanna try, I wanna deal, don’t wanna die.“ Er will glücklich werden und ziemlich alt.

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