Einst trug er Masken und Kostüme, rasierte sich bizarre Frisuren, führte pompöse,  unverständliche Rock-Opern auf und trennte sich von seiner Band. Dann sah er Bruce Springsteen auf der Bühne und wollte so sein wie er, doch sein erstes Solo-Album war voll schaurig-schöner, grimmig-bizarrer, britisch-märchenhafter Songs. Er entdeckte die afrikanische Rhythmik und den amerikanischen Funk, ließ in einem Musikvideo ein Brathähnchen tanzen und schaute so bedeutungsvoll, ernst und traurig von seiner fünften Platte, dass sehr viele Menschen sie kauften.

Er gründete ein Label und förderte sogenannte Weltmusik, dann nahm er eine afrikanisch-arabisch tönende Filmmusik auf, und danach plante er futuristische Vergügungsparks, interaktives Musizieren für Affen und wahrscheinlich sprechende Sitzmöbel, auf denen er durch die Stadt Bath fahren oder zum Mars fliegen konnte. Tatsächlich realisiert wurde im Jahr 2000 der Millennium Dome in London, zu dessen Eröffnung er ein verquastes Oratorium komponierte. Danach fiel ihm nicht mehr viel ein. Peter Gabriel ist ein Spintisierer, dem die Hirngespinste ausgingen.

Im letzten Jahr sang er sakrosankte Lieder anderer Songschreiber zu Orchester-Arrangements, warum auch immer; nun lässt er seine eigenen Stücke fiedeln und manchmal die Sängerin Ane Brun und seine Tochter Melanie barmen. Es sind majestätische Songs, die ich (um nur einen zu nennen) geliebt habe: „San Jacinto“, „Wallflower“, „In Your Eyes“, „Red Rain“, „Solsbury Hill“. Das  schroffe, hektische Tirilieren und Schmettern der Symphoniker,  der geschmackvolle Bombast, der oktroyierte Schwulst und Kitsch, wo früher bloß Manu Katché, Tony Levin und David Sanscious waren und einer der Rock-Sänger für die Ewigkeit – all das kann die wunderbaren Lieder nicht zerstören, auch nicht die Engels-Chöre im Hintergrund. Sie nehmen nicht die Magie von Gabriels größtem Stück, „Mercy Street“, das die tote Lyrikerin Anne Sexton inspirierte: „Looking down an empty street/ All of the buildings, all of the cars/ Were once just a dream in somebody’s head/ Let’s take the boat out, wait until darkness comes.“ Immer freue ich mich auf das Ende: „Anne with her father/ Is out in the boat/ Riding the waves/ On the sea“ – aber da wispern schon wieder die Frauen!

Toll ist die Gruselstimme in „Darkness“. Ach, hören wir noch einmal die alten Platten!

Beste Songs: „Mercy Street“, „Wallflower“